Eigentlich als Routinetreffen geplant, knirscht es plötzlich zwischen Merkel und den Länderchefs. Die föderal regierte Republik sucht in der Pandemie den richtigen Arbeitsmodus. Streit gilt dabei auch als Form des Austauschs.
Von Tom Schneider, ARD-Hauptstadtstudio
Als am Abend die ganze Anspannung verflogen ist, steht Michael Müller plötzlich ganz vergnügt im Foyer des Bundeskanzleramts. "Ich war verblüfft, in welchen Ecken der Hauptstadt sich Angela Merkel so auskennt", flötet Michael Müller über die stundenlangen Verhandlungen. Offenbar hatte die Kanzlerin zuvor mit Insiderinnenwissen gepunktet, als es um die Situation der Essensbeschaffung an Berliner Döner-Imbissen ging.
Doch vorangegangen war den Gesprächen ein Streit, der zeitweise recht erbittert wirkte. Eigentlich war das Treffen am Nachmittag nie darauf angelegt gewesen, allzu strittige Themen anzuschneiden. Um eine erste Analyse nach gut zwei Wochen unter den neuen Corona-Beschränkungen sollte es gehen. Doch da war man unversehens wohl schon ganz tief drin in den Meinungsverschiedenheiten. Angela Merkel reichte das zarte Pflänzchen eines leicht abgeflachten Pandemieverlaufs definitiv nicht aus. Und dieses Gefühl nahm offenbar derart überhand, dass am späteren Sonntagabend plötzlich eine Beschlussvorlage im Berliner Regierungsviertel kursierte, die unter anderem noch einmal deutlich verschärfte Kontaktbeschränkungen enthielt. Ursprung des Vorschlags: Das Kanzleramt.
"Unverhältnismäßige Maßnahmen"
"Ich will das ganz offen sagen", gesteht Merkel am Abend ein, "es stimmt, dass der Bund und ich persönlich sehr gedrängt haben." So viel, dass mancher Länderchef schon am Morgen die Notbremse gezogen hatte. "Das ist kein Vorschlag, der mit den Ländern besprochen oder abgestimmt ist", twitterte Manuela Schwesig, Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern. Mit Blick auf Kinder, Jugendliche und Schule seien die angedachten Maßnahmen unverhältnismäßig. "Das Vorgehen des Kanzleramtes führt zur Verunsicherung anstatt zur gemeinsamen Orientierung für die Bevölkerung", so die SPD-Politikerin.
Doch was den Ländern missfiel, war offenbar weniger das grundsätzliche Signal, dass zur Eindämmung der nach wie vor hohen Neuansteckungen weitere Kontaktbeschränkungen notwendig sein könnten. Was die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten parteiübergreifend auf die Palme brachte, war der Eindruck, dass der Bund mit dem weitreichenden Papier offenbar den Versuch unternehmen wollte, durchzuregieren in eindeutige Kompetenzbereiche der Bundesländer.
Bugschuss für die Kanzlerin
"Die Ministerpräsidenten und damit die Landesregierungen sind nicht eine Dienststelle des Bundeskanzleramts", wettert Thüringens Regierungschef Bodo Ramelow angesichts des Verlaufs der Dinge selbst am Abend noch. "So sollten wir miteinander nicht umgehen, das haben meine 15 Kollegen und ich heute klargestellt", so der Linkspolitiker. Und auch Markus Söder, sein CSU-Kollege aus Bayern, sonst an sich durchaus ein Freund der harten Gangart, merkt an: "Das hätte man heute etwas eleganter machen können."
Am Ende stand also ein Bugschuss für die Kanzlerin: Was Bund und Ländern nun an Kontaktbeschränkungen für die Vorweihnachtszeit im Privaten vorschwebt, ist vorerst nichts als eine Empfehlung. Merkel hätte hier verbindliche Ansagen bevorzugt. Ihre Vorschläge zum Eingrenzen des Pandemiegeschehens an Schulen waren am Mittag kurzerhand sogar ganz aus dem Beschlusspapier gestrichen worden.
Rampe für neue Beschränkungen
Und das, obwohl auch die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten wenig Zweifel haben, dass wohl noch mehr Maßnahmen notwendig sind, um die Infektionsrate wieder in die Nähe des magischen Werts von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen zu bringen. Als "bedrückend" beschreibt Berlins Regierender Bürgermeister etwa die Situation auf Intensivstationen der Hauptstadt. "Erstmals werden hier jetzt 1.000 Corona-Intensiv-Patienten gleichzeitig behandelt", so Michael Müller. "Die steigenden Infektionen haben also ganz klare Auswirkungen auf die Lage in den Intensivstationen." Und Markus Söder ergänzt: "Ich habe wenig Hoffnung, dass Ende November wieder alles gut sein wird."
Am Ende scheint die Bundeskanzlerin den Streit und die Versöhnung mit den Länderchefs vor allem als Rampe nutzen zu wollen: Für die bittere Wahrheit, dass Richtung Jahresende wohl noch einmal schärfere Corona-Beschränkungen drohen. "Wir müssen sicher sein, dass wir die 50 bei den Neuansteckungen wieder erreichen können", insistiert die Kanzlerin. Und auch Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil sieht für das nächste Bund-Länder-Treffen schon in einer Woche die große Wahrscheinlichkeit, "dass vieles von den Empfehlungen heute in geltendes Recht umgesetzt wird."
Merkel gibt am Ende zu, dass bis dahin noch eine Menge Abstimmungsbedarf mit den Ländern besteht. Dafür will sie die heute so krachend gescheiterte Methode ändern: "Wir wollen jetzt mal wissen: Was passiert, wenn die Länder die Vorschläge machen." Daneben steht Markus Söder und kann sein Grinsen einfach nicht unterdrücken. "Ich bin mir da noch nicht ganz sicher, ob wir auf die Art wirklich weiterkommen."
Der Kanzlerin ist Ärger über den Tagesablauf nicht anzumerken, als sie mit Söder und Müller zum Feierabend Richtung Fahrstuhl schlendert. "Sooo, see you next week", verabschiedet sie sich mit breitem brandenburgischen Akzent.
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