Im Grunde ist das schon eine kleine Elefanten- und Elefantinnenrunde bei "Anne Will". Zur Leitfrage der ARD-Themenwoche "Wie wollen wir leben?" nehmen Stellung: Annalena Baerbock für die Grünen und ihren ökologischen Genderkokolores, Olaf Scholz für die trockenen Finanzen (und die SPD) und Friedrich Merz (CDU) für sich selbst.
Nur im Geiste anwesend ist Wolfgang Schäuble mit seinem in einem Interview für die "Welt" geäußerten, beinahe päpstlichen Satz: "Wir müssen den Schock der Pandemie nutzen, damit das unglaubliche Schwungrad des Kapitalismus und der Finanzmärkte nicht weiter überdreht". Das unglaubliche Schwungrad! Des Kapitalismus!
Merz und die Finanzindustrie
Da fragen wir doch mal Friedrich Merz, der als Aufsichtsratsvorsitzender der Fondsgesellschaft Blackrock mit einem weltweit verwalteten Vermögen von zuletzt mehr als sieben Billionen US-Dollar durchaus am Schwungrad gedreht hat. "Das überrascht mich jetzt ein bisschen, ich bin da seit ’nem halben Jahr raus", sagt Merz, das sei ein feiner Arbeitgeber gewesen, und außerdem sei in der Finanzindustrie "vieles auch schon runtergekommen", vermutlich vom hohen Ross.
Konkret geht es darum, wie Deutschland derzeit ökonomisch durch die Krise kommt, um Investitionen und wohinein sie getätigt werden sollten. Scholz meint, "Programmsätzen" wie denen von Schäuble sollten auch "Taten" folgen. Also Soforthilfen, Bürgschaften, Kredite, Novemberhilfen, über 300 Milliarden zusätzliche Kredite und eine allgemeine Verbreitung des Eindrucks, "dass das auch gut gehen wird".
Baerbock und der Kapitalismus
Baerbock reicht das nicht. Ihre Partei fordert ein Investitionsprogramm von 500 Milliarden Euro. Mit dem System will sie tun, was Marx mit Hegel machte, es "vom Kopf auf die Füße" stellen. Es dürfe nicht "ein bisschen weniger Kapitalismus" geben, sondern eine radikale Neuausrichtung auf ökologische und damit zukunftsorientierte Ziele.
Scholz hört sich das an und sagt: "Ich glaube, ich würde gerne ein bisschen aushelfen mit Fakten". Schon jetzt seien im Haushalt jährlich Investitionen von rund 50 Milliarden veranlagt, und wenn man das auf zehn Jahre hochrechnet, komme - pardauz! – die grüne Summe heraus. Im Übrigen teile er die Auffassung der Kollegin.
Merz hingegen traut weder der Eintracht, noch behagt ihm der Lauf der Sendung: "Wir sind jetzt ein bisschen sehr in der Tagespolitik", mäkelt der unter Umständen nächste Kanzlerkandidat der Union: "Vielleicht reden wir auch mal über ein Leben nach Corona, was kommt eigentlich danach? Wie sieht eigentlich unser Land in zehn Jahren aus?"
Wenn es nach Merz geht, wie vor zwanzig Jahren. Er "habe sehr viel Kontakt zu jungen Leuten, die Unternehmen gründen", darunter auch "viele Frauen", und die drohten mit dem Abgang an ausländische Kapitalmärkte, weil hierzulande alles zu bürokratisch sei. Denen würde er gerne in den ersten zehn Jahren die Steuern komplett erlassen. So und nicht anders. Sonst drohe "Staatswirtschaft".
Weil wir in zehn Jahren noch immer nicht an einem Kapitalmarkt, sondern hoffentlich in einer Gesellschaft leben werden, blendet die Redaktion erneut ein berüchtigtes Zitat von Merz ein, getätigt im Hinblick auf die staatlichen Aufstockungen zum Kurzarbeitergeld: "Wir müssen ein bisschen aufpassen, dass wir uns nicht alle daran gewöhnen, dass wir ohne Arbeit leben können".
"Ich verstehe nicht, ehrlich gesagt, warum sie das jetzt schon zum zweiten Mal machen", sagt Merz und meint das Zitat. Das sei aus dem Kontext gerissen. Will erklärt geduldig, er hätte es auch anders formulieren können, dass nämlich die Menschen arbeiten wollten und die Unternehmen diese Mitarbeiter behalten – daher das Kurzarbeitergeld. Scholz nutzt die Gelegenheit, noch einmal auf die – aus seiner Sicht – Sinnhaftigkeit dieser langfristigen Regelung hinzuweisen.
Scholz und der Feminismus
Will aber möchte jetzt gerne mal auf das "Menschenbild" und damit die Frage nach Geschlechtergerechtigkeit hinaus. Die Klage einer Kundin, die von ihrer Sparkasse nicht als "Kunde" angesprochen werden wollte. Der Gesetzentwurf mit dem generischen Femininum.
Merz kann es nicht fassen. Heute sei in Asien zugunsten Chinas "der größte zusammenhängende Wirtschaftsraum geschaffen, den’s auf der Welt gibt: "Und wir diskutieren hier über Gläubige und Gläubigerin?" Wir hätten im Moment doch wirklich "ein paar andere Herausforderungen", denen wir uns stellen müssten.
Baerbock verfügt, jetzt müsse der Merz "mal ein bisschen zuhören". Was China beträfe, gerne auch die neue Freihandelszone, dürfe man sich durchaus Gedanken darüber machen, welche Werte Europa demgegenüber vertrete. Wer nicht bereit sei, strukturellen Sexismus anzugehen, "der kann nicht 80 Millionen Menschen regieren".
Der "Feminist" (Scholz über Scholz) nickt und äußert den Verdacht, CDU und CSU verstünden nicht einmal, worum es hier gehe. Merz ironisch: "Oh, jetzt steigt das Niveau", worauf Scholz noch eine Schippe drauflegt. Es gehöre zu "den Machtmethoden" mancher Männer, "ein bisschen komisch zu lachen, wenn es um Frauen geht".
Merz weist darauf hin, dass Scholz und Baerbock im Bundestag sitzen und sich dort um ihre feine Gleichstellung kümmern könnten: "Machen sie’s doch!" Baerbock kontert, dazu fehlten leider die Mehrheiten, und das "blockiert ihre CDU!"
Selten waren in einem Talk die Zukunft, die Gegenwart und die Vergangenheit so trennscharf zu unterscheiden.
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