Marcelo Rebelo de Sousa liebt das Bad in der Menge. Portugals Präsident umarmt und küsst die Menschen, denen er begegnet. Nähe zu zeigen ist eine seiner großen Stärken. Nun zwingt ihn die Pandemie aber dazu, Abstand zu halten. Als der 72 Jahre alte Politiker bekanntgab, zum zweiten Mal für das Präsidentenamt zu kandidieren, waren nur zwei Kameraleute dabei. „Ich werde nicht mittendrin aufhören“, kündigte Rebelo de Sousa an. Auf dem Höhepunkt der zweiten Corona-Welle brauche Portugal einen Politiker, „der stabilisiert“. Er werde sich deshalb nicht aus der Verantwortung stehlen, sagte er in der Konditorei „Versailles“, gleich neben seinem Amtssitz im Lissaboner Stadtteil Belém. In dem Traditionsgeschäft unweit der Mündung des Flusses Tejo hatte er schon im Jahr 2016 während seiner ersten Kampagne seine Wahlkampfzentrale aufgeschlagen.
Ein größeres Hauptquartier braucht der frühere Jura-Professor wohl auch nicht. Umfragen zufolge wollen die Portugiesen bei der Präsidentenwahl am 24. Januar keinen Wechsel. Sie sagen Rebelo de Sousa, der als parteiloser Kandidat antritt, drei Viertel der Stimmen voraus. Vor fünf Jahren hatte er im ersten Wahlgang 52 Prozent erhalten. Manche trauen ihm sogar zu, den Rekord von Mário Soares zu brechen. Den populären Sozialisten hatten die Wähler 1991 mit gut 70 Prozent im Präsidentenamt bestätigt. Die regierenden Sozialisten und die konservative Sozialdemokratische Partei (PSD), welcher der Präsident einst angehörte, verzichteten darauf, eigene Kandidaten aufzustellen. Unter den acht Herausforderern des Amtsinhabers erregt nur André Ventura von der neuen Chega-Partei Aufsehen. Die Rechtspopulisten fristeten in Portugal bisher ein Schattendasein.
Zwei Kajakfahrerinnen gerettet
Doch gegen den volksnahen und zupackenden Rebelo de Sousa sind seine Konkurrenten wohl chancenlos. Viele nennen den hochgewachsenen Präsidenten nur bei seinem Vornamen Marcelo. Mit seiner unabhängigen und unprätentiösen Art ist er zum beliebtesten Politiker des kleinen Landes geworden. Bei Katastrophen wie einem Busunglück auf Madeira oder nach den verheerenden Waldbränden 2017 hat er sich als Tröster hervorgetan, der die Trauernden umarmt und auf der Straße keinem Selfie aus dem Weg geht. Oft bietet er an, selbst zu fotografieren. In seiner bisherigen fünf Jahre langen Amtszeit müssten eigentlich alle zehn Millionen Portugiesen ein Bild mit ihm haben, scherzt man in Lissabon.
In Windeseile verbreitete sich im Frühjahr ein Foto, das Rebelo de Sousa in himmelblauer Badehose und mit Gesichtsmaske an einer Supermarktkasse zeigte. Jeden Morgen geht der Präsident in seinem Wohnort Cascais schwimmen. Er verzichtete darauf, in die Präsidentenresidenz zu ziehen. Im Sommer schwamm Rebelo de Sousa an der Algarve-Küste zwei Kajakfahrerinnen zu Hilfe, die auf dem Meer in Schwierigkeiten geraten waren.
Sousa: Banken sollen Hilfen jetzt zurückzahlen
Politisch schreckt der Präsident nicht vor deutlichen Worten zurück. Er kritisierte den schleppenden Kampf gegen die Korruption sowie die langsame Reaktion der Regierung auf die Brandkatastrophen der vergangenen Jahre. Seine Kritik trug 2017 zum Rücktritt der damaligen Innenministerin bei. Als ihm der Streit um den neuen Staatshaushalt zu langwierig wurde, drohte er damit, das Parlament aufzulösen. Er spricht sich auch dafür aus, dass die Banken in der gegenwärtigen Pandemie die Hilfen zurückzahlen, die sie während der großen Finanzkrise vor einem Jahrzehnt erhalten hatten.
Im Januar muss der gläubige Katholik Rebelo de Sousa entscheiden, wie er mit dem Gesetz über die aktive Sterbehilfe verfährt, welches das Parlament im vergangenen Jahr auf den Weg gebracht hat. Er halte sich alle Optionen offen, sagte er in einem Interview. Dazu gehören auch ein Veto oder die Prüfung durch das Verfassungsgericht. Die Tatsache, dass er katholisch ist, sei für ihn nicht ausschlaggebend. Wenn er das Gesetz für verfassungswidrig halte, „dann nicht, weil er katholisch, muslimisch oder protestantisch oder agnostisch oder atheistisch ist“, sagte er. Der Präsident versicherte, er werde seinen Glauben nicht einem Land aufzwingen, „das nicht konfessionell ist“.
Kooperation mit linkem Regierungschef
Bei seiner ersten Wahl war Marcelo Rebelo de Sousa als unabhängiger Kandidat angetreten. Unterstützt wurde er vom bürgerlichen Lager. Das hinderte den Präsidenten aber nicht daran, relativ reibungslos mit der Minderheitsregierung des Sozialisten António Costa zusammenzuarbeiten. An der Universität Lissabon war Costa vor Jahrzehnten sein Student gewesen. Rebelo de Sousa weist den Vorwurf von zu großer Regierungsnähe zurück, den die Rechte immer wieder erhebt. Er habe in seiner ersten Amtszeit mehr Gesetze abgelehnt als seine drei Vorgänger, rechtfertigt er sich. Doch der politische Gegenwind für Costa, dessen Regierung gerade die EU-Ratspräsidentschaft übernommen hat, nimmt zu. Im linken Lager wächst der Druck, in der Pandemie die strenge Budgetdisziplin zu lockern.
Bisher haben die Portugiesen in Corona-Zeiten relativ gut zusammengehalten. Das Virus dominiert die Politik, die Herausforderer des Präsidenten tun sich schwer, mit anderen Themen zu punkten. Mit dem Thema Korruption versucht es die 66 Jahre alte sozialistische Europaabgeordnete und frühere Diplomatin Ana Gomes, die als unabhängige Kandidatin antritt. Zuletzt hatte sie Isabel dos Santos, die Tochter des früheren angolanischen Präsidenten José Eduardo dos Santos und reichste Frau Afrikas, ins Visier genommen. Die Justiz wirft Santos vor, sich mit mehr als einer Milliarde Dollar illegal bereichert zu haben. Ana Gomes stellte sich dabei an die Seite des in Portugal angeklagten Hackers Rui Pinto. Die Daten, die er erbeutet hatte, wurden als „Luanda Leaks“ und „Football Leaks“ bekannt; sie brachten Korruption ungeahnten Ausmaßes ans Tageslicht.
Mit der sozialistischen Regierung geht die Präsidentschaftskandidatin der Linken ebenso hart ins Gericht, etwa wenn es um die großzügige Vergabe der „goldenen Visa“ geht: Nicht-EU-Bürger, die in Portugal Immobilien kaufen, erhalten nach dem Kauf eine der begehrten Aufenthaltsbewilligungen. Das sei ein „korruptes Programm, um korrupte Leute zu unterstützen“, schimpft Gomes. Es gefährde die Sicherheit der Schengen-Zone, weil es Korruption und organisierte Kriminalität importiere.
Eine Protestpartei hofft
Ana Gomes wird Umfragen zufolge die Siegeschancen von Marcelo Rebelo de Sousa genauso wenig gefährden wie André Ventura. Spannend wird aber sein, wer es auf Platz zwei schafft: die Vertreterin der Linken oder der laute Rechtspopulist Ventura. Dessen Abschneiden wird ein Hinweis darauf sein, ob es seinen Anhängern in Portugal gelingt, von den Verwerfungen der Pandemie zu profitieren und stärker Fuß zu fassen. Bei der Parlamentswahl im Oktober 2019 hatte Venturas Partei Chega („Es reicht“) nur knapp 1,3 Prozent der Stimmen erhalten; er ist seitdem der einzige Chega-Abgeordnete im Parlament. Der 37 Jahre alte Ventura stilisiert sich als politischer Saubermann hofft auf Stimmen von Protestwählern. Er polemisiert gegen Migranten, „arbeitsscheue Roma“ und gleichgeschlechtliche Ehen. Seine Partei will die Grenzen für Migranten schließen und forderte die „Abschiebung“ einer schwarzen Parlamentsabgeordneten. Straffällige Pädophile will er chemisch kastrieren lassen.
Selbstbewusst macht sich Ventura schon Hoffnungen, es wenigstens in die Stichwahl gegen Rebelo de Sousa zu schaffen. Davon ist er laut Umfragen jedoch weit entfernt. Das bremst aber Ventura nicht. Er nutzt die Aufmerksamkeit, die ihm der Präsidentschaftswahlkampf bietet, um an einem anderen Ziel zu arbeiten. In Interviews sprach er schon von seinem Plan, Chega zur stärksten Rechtspartei im Parlament zu machen. Dafür müsste er die PSD, deren Vorsitzender der amtierende Präsident einmal war, überrunden.
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