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Oxfam-Studie: Corona-Krise verschärft die globale Ungleichheit - WELT

Es ist eine schreckliche Zeit, es ist eine herrliche Zeit. Corona hat die Weltwirtschaft in eine schwere Krise gestürzt, doch zugleich hat sie vielen Unternehmen eine Sonderkonjunktur beschert, allen voran Technologieriesen, die von Kontaktlos-Geschäftsmodellen profitieren – ihre Eigentümer werden auf dem Papier reicher und reicher.

Aus dieser Konstellation erwächst ein Antagonismus, der aus Sicht mancher Beobachter zu sozialen Spannungen führt. „Milliardäre profitieren trotz Pandemie, die Ärmsten werden abgehängt“, überschreibt die Nichtregierungsorganisation Oxfam eine Studie, in der sie die zunehmende Vermögensungleichheit beklagt.

Ärmste um ein Jahrzehnt zurückgeworfen

Nach Ansicht der Aktivisten hat die Covid-19-Pandemie die sozialen Unterschiede weltweit verschärft. „Während die 1000 reichsten Menschen ihre Verluste in der Corona-Krise in nur neun Monaten wettmachten, könnte es mehr als ein Jahrzehnt dauern, bis sich die Ärmsten von den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie erholt haben“, fürchten die Oxfam-Experten.

Diese Aussage bezieht sich auf folgende Rechnung: In der Krise wurden die Ersparnisse der Ärmeren stark belastet, wenn nicht aufgezehrt – in den Entwicklungsländern, aber auch in den Industrieländern. Zugleich ist das Vermögen der zehn wohlhabendsten Menschen der Welt zwischen 2019 und 2020 – trotz Pandemie – um fast eine halbe Billion Dollar gewachsen. Zuletzt konnten diese Superreichen zusammen 1,12 Billionen Dollar auf sich vereinen.

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„Für die Reichsten ist die Corona-Krise vorbei“, konstatieren die Oxfam-Aktivisten. Und verbinden die Feststellung mit einer suggestiven Forderung: „Der Gewinn der Superreichen wäre mehr als ausreichend, um die gesamte Weltbevölkerung gegen Covid-19 zu impfen und sicherzustellen, dass niemand durch die Pandemie verarmt.“

Die Gefahr der Verarmung ergibt sich daraus, dass die Welt die schlimmste Jobkrise seit mehr als 90 Jahren erlebt, Hunderte Millionen Menschen haben durch Pandemie und Abwehrmaßnahmen Arbeit und damit Einkommen verloren.

Zugleich hat der Lockdown aber auch einen Trend beschleunigt, der bereits vorher da war: die Digitalisierung aller Lebensbereiche. Als Folge davon verbuchten Technologie- und Internetunternehmen starke Umsatz- und Gewinnzuwächse, die es in der Form ohne Lockdown nicht gegeben hätte.

Quelle: Infografik WELT

Unter den zehn wohlhabendsten Menschen der Erde befinden sich nicht weniger als sieben Gründer von Hightech-Firmen. Angeführt wird die Liste der Superreichen von Elon Musk. Der Chef des innovativen E-Autobauers Tesla brachte es zuletzt auf ein Vermögen von 201 Milliarden Dollar. Nummer zwei ist Amazon-Gründer Jeff Bezos mit 183 Milliarden Dollar Vermögen. Auch die Schöpfer von Facebook und Google gehören zu den Top Ten der Vermögenselite. Reichster Nicht-Tech-Unternehmer ist der Franzose Bernard Arnault, der den internationalen Luxusgüterriesen LVMH schuf und zu globalem Erfolg führte.

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Aus Sicht von Oxfam leisten Firmenmultis und ihre Besitzer in diesen schwierigen Zeiten keinen ausreichend großen Beitrag zum Gemeinwohl, das sich durch das Virus großer Bedrohung ausgesetzt sieht. „Kurzfristig braucht es eine Steuerpolitik, die Unternehmen und Superreiche angemessen an der Finanzierung unseres Gemeinwesens beteiligt“, sagt Tobias Hauschild, der das Team „Soziale Gerechtigkeit“ von Oxfam Deutschland leitet.

Die Steuergelder würden dringend benötigt, um insbesondere in den Entwicklungsländern Menschen in Armut zu unterstützen, um den Bildungssektor sowie das Sozial- und Gesundheitssystem auszubauen.

Quelle: Infografik WELT

Ökonomen teilen zum großen Teil die Einschätzung von Oxfam, dass die Spreizung der Vermögen zugenommen hat. Schon vergangenes Jahr stellte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) mit Blick auf Deutschland fest: „Die reichsten zehn Prozent verfügen nicht, wie bisher angenommen, über 59 Prozent des gesamten Nettovermögens – sondern über 67 Prozent.“

Vor allem das obere Prozent sei wohl reicher als gedacht: Anstelle der bisher geschätzten knapp 22 Prozent vereinen diese vergleichsweise wenigen Personen mit gut 35 Prozent mehr als ein Drittel des privaten Nettovermögens auf sich. Die ärmere Hälfte der Bevölkerung stehe dagegen nur für rund ein Prozent des Wohlstands. Das Jahr 2020 dürfte diese Ungleichheit verstärkt haben, nicht nur hierzulande, sondern auch international.

Unbestritten ist, dass die Wohlstandsspreizung in den USA besonders zugenommen hat. Dort haben die Internetriesen ihren Sitz. Außerdem müssen Spitzenverdiener in den Vereinigten Staaten vergleichsweise niedrige Einkommensteuern zahlen.

Quelle: Infografik WELT

Oxfam selbst hat für den Bericht „The Inequality Virus“ 295 Ökonomen aus 79 Ländern befragt. Nach Angaben der Organisation erwarten 87 Prozent der Wissenschaftler, darunter führende Ungleichheitsforscher wie Jeffrey Sachs, Jayati Ghosh und Gabriel Zucman, in ihrem Land eine Zunahme oder einen starken Anstieg der Einkommensungleichheit als Folge der Pandemie. Sollte sich die Prognose bewahrheiten, könnten noch 2030 mehr Menschen in Armut leben als vor der Pandemie, schätzen die Experten der Weltbank.

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„In der Pandemie dürfte die Einkommens- und Vermögensungleichheit nochmals deutlich gestiegen sein“, sagt auch Gunther Schnabl, Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität Leipzig. Das gelte vor allem mit Blick auf die Situation in den einzelnen Staaten, aber auch vermehrt wieder für das Verhältnis von Entwicklungsländern und Industrieländern, wobei China eine Ausnahme sein könnte. Dort ist die Wirtschaft vergangenes Jahr nicht geschrumpft, sondern um 2,3 Prozent gewachsen.

Zugleich stoßen die Forderungen von Oxfam auf Unverständnis, wenn nicht Ablehnung. „Corona unterscheidet zumindest in den westlichen Ländern nicht nach dem Einkommen, sondern trifft Menschen aller Einkommensschichten. Doch in Deutschland sind von der Pandemie vor allem Selbstständige und Unternehmer betroffen, die ihre Geschäfte wegen des Lockdowns einstellen mussten“, sagt Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank.

Quelle: Infografik WELT

Ohne Zweifel hätten auch die Arbeitnehmer gelitten, wenn sie von Kurzarbeit betroffen sind oder sogar ihre Stelle verloren haben. Aber im Schnitt seien die verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte in Deutschland 2020 gestiegen, und zwar um 0,8 Prozent. „Dagegen sind die Unternehmens- und Vermögenseinkommen um 7,5 Prozent eingebrochen.“

Es stelle sich die Frage, wie der Staat feststellen will, ob eine einzelne Firma von der Pandemie profitiert hat oder nicht. „Wenn ein Unternehmen wegen guter Produkte oder Dienstleistungen zufällig im Corona-Jahr 2020 mehr Gewinne macht, kann man es deshalb doch nicht mit einer Sondersteuer belegen“, kritisiert Krämer.

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Außerdem, gibt der Ökonom zu bedenken, sei die Steuer- und Abgabenlast in Deutschland schon jetzt hoch. „Besonders die Steuern für Unternehmen sind mittlerweile höher als in den meisten anderen Industrieländern.“ Müssten sie nun mehr zahlen, sei damit auch den Beschäftigten ein Bärendienst erwiesen.

Treffen könnten höhere Steuern gerade den deutschen Mittelstand, wo viele Betriebsinhaber zwar auf dem Papier reich sind, aber eben ihr Kapital für Investitionen brauchen, die ihrerseits Arbeitsplätze schaffen. Es gelte, nicht zu vergessen, dass Inhaber mittelständischer Industrieunternehmen während des ersten Lockdowns hohe Verluste erlitten haben, die sie durch das Einschießen von Eigenkapital oder durch Bankkredite ausgleichen mussten.

Privatvermögen oft im Unternehmen gebunden

Doch auch eine Sondersteuer für die Corona-Profiteure unter den internationalen Technologieunternehmen könnte sich als problematisch erweisen. Indem einem Technologiekonzern wie Tesla Geld entzogen wird, fehlen künftig womöglich Mittel für Innovationen. Auch eine Abgabe auf ein gewaltiges Privatvermögen wie das von Elon Musk hätte einen ähnlichen Effekt, sind dessen Milliarden doch zum Großteil in Tesla investiert. Das Gleiche gilt für fast alle Superreichen. Das Gros des ausgewiesenen Wohlstands ist Betriebskapital, das fortwährend Wohlstand schafft.

Nach Einschätzung der Ökonomen ist das eigentliche Problem vielfach eine Regulierung, die die Großen begünstigt und den Kleinen das Wasser abgräbt. „Corona-Maßnahmen haben viele, vor allem kleine Unternehmen wie Restaurants, Einzelhändler, Hotels, Reisebüros stark getroffen, während einige große Konzerne zum Beispiel aus dem Bereichen Internet oder Pharma stark begünstigt wurden“, erklärt Schnabl.

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Leidtragende seien somit häufig auch Betriebe in den Entwicklungsländern. Die Zentralen der internationalen Konzerne befinden sich dagegen überwiegend in den alten Industrieländern. Große Unternehmen können über Lobbyismus außerdem mehr Einfluss nehmen auf die Gestaltung von Regulierung und die Höhe von Rettungsprogrammen. Entscheidend für die Überwindung der Krise sei daher ein Abbau von Beschränkungen, nicht ein Mehr an Staatseingriffen.

Zumindest mitverantwortlich für die zunehmende Ungleichheit der Vermögen könnte aber auch die Politik der Zentralbanken sein. Eine ohnehin schon lockere Geldpolitik zur Unterstützung klammer Staaten haben sie in der Corona-Krise in eine große Liquiditätsflut münden lassen. Die massive Lockerung mit groß angelegten Anleihenkäufen hat direkte Auswirkungen auf die Verteilung von Wohlstand.

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„Eine solche Geldpolitik treibt die Preise aller Vermögenswerte nach oben, insbesondere die von Aktien und Immobilien. Natürlich profitieren davon die reichsten Menschen der Welt“, ist Krämer überzeugt. Das sei der problematische Nebeneffekt der lockeren Geldpolitik. Da Großunternehmen und ihre Eigentümer vor allem in den Industriestaaten ansässig sind, führt das auch zu mehr internationaler Ungleichheit.

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