Das Robert Koch-Institut zeigt sich zunehmend beunruhigt über den Öffnungskurs der Politik. Jetzt hat die Behörde eine explosive Prognose vorgelegt. Ob die Warnung wohl verstanden wird?
Erst stiegen die Fallzahlen nur allmählich. Doch jetzt weist die Kurve der täglich gemeldeten Corona-Neuinfektionen einen deutlichen Knick nach oben auf. Experten hatten vor diesem Moment gewarnt: Die höhere Ansteckungsrate der Corona-Variante B.1.1.7 macht sich nun verstärkt bemerkbar und wird zu einem exponentiellen Anstieg führen – sogar noch bevor die Wiedereröffnung von Schulen, Einzelhandel oder Gastronomie ihre Wirkung entfalten können.
Jetzt hat auch das Robert Koch-Institut in seinem aktuellen Lagebericht vom 12. März eine beunruhigende Prognose vorgelegt. Diese zeigt, wie dramatisch sich die Lage in den kommenden Wochen zuspitzen könnte. Demnach könnten die Fallzahlen unter dem Einfluss der Virusmutationen in den nächsten vier Wochen den bisherigen Pandemie-Höhepunkt Mitte Dezember überschreiten.
Nach Ostern, also ab der Kalenderwoche 14, wäre demnach mit einer bundesweiten 7-Tage-Inzidenz von mehr als 200 zu rechnen. Das entspricht mindestens 23.000 Neuinfektionen am Tag. Eine Woche darauf wird in dem Modell der Wert 300 überschritten. "In 4 Wochen haben wir eine höhere Inzidenz als zu Weihnachten", schreibt RKI-Statistiker Andreas Hicketier auf Twitter über einem Screenshot der Grafik aus dem Situationsbericht.
Grundlage der Berechnungen sind die vom RKI erhobenen Daten zur Verbreitung der Corona-Variante B.1.1.7. Deren wöchentliche Fallzahl habe sich seit Beginn des Jahres alle zwölf Tage verdoppelt. Bisher war dieser exponentielle Anstieg aber durch den Rückgang bei Fällen mit dem Wildtyp und anderen Varianten überlagert worden. Da sich nun aber die ansteckendere Virusvariante durchsetzt, erwartet das RKI, "dass die 7-Tage-Inzidenz insgesamt ab KW 10 einen deutlich steileren Anstieg zeigen wird", heißt es in dem Lagebericht.
Besonders beunruhigend: In der Berechnung werden mögliche Effekte durch die geplanten Lockerungen noch gar nicht berücksichtigt. Das Modell geht im Grunde also von einer unveränderten Lockdown-Situation nach dem jetzigen Stand aus. Setzt die Politik ihren Öffnungskurs fort, dürfte dies das Wachstum noch zusätzlich beschleunigen. Schleswig-Holstein plant beispielsweise, die Hotels über die Osterferien zu öffnen. Derzeit ist es das einzige Bundesland mit einer Inzidenz knapp unter 50.
Mit der Prognose bestätigt die Bundesbehörde nun ganz offiziell die Berechnungen, die bereits in ähnlicher Form von mehreren unabhängigen Experten vorgelegt wurde. In einigen Fällen übersteigt die RKI-Vorhersage sogar die schlimmsten Befürchtungen. Auch t-online hatte kürzlich eine vergleichsweise optimistische Schätzung veröffentlicht, die davon ausgegangen war, dass sich das Wachstum nach dem Muster der Vorwoche fortsetzt – und dass sich die steigenden Temperaturen sowie die Impfkampagne positiv auf die Fallzahlen auswirken.
B.1.1.7-Infizierte stecken mehr Personen an
Doch nun deutet sich ein sehr viel früheres und schnelleres Wachstum der Fallzahlen an. Dies kann zum Teil an der Ausweitung der Teststrategie und der größeren Verbreitung von Selbst- und Schnelltests liegen. Die dadurch aufgedeckten Fälle bestätigen aber nur, was man bereits befürchtet hatte: Die Virusvariante B.1.1.7 führt zu sehr viel explosiveren Ausbrüchen. Eine mit der "britischen" Variante infizierte Person steckt im Durchschnitt mehr Personen an als noch beim Wildtyp. Das lässt den R-Wert auf deutlich über 1 steigen, selbst unter den derzeit geltenden Kontaktbeschränkungen und Vorsichtsmaßnahmen.
Die durchaus dramatisch aussehende Grafik im Situationsbericht sowie ihre Erläuterungen sind bemerkenswert. Bisher hatte sich das RKI nämlich stets mit Prognosen zurückgehalten – wohl auch, um den Öffnungskurs der Politik nicht unnötig zu torpedieren. Doch nun mehren sich die Warnzeichen und auch das RKI wird zunehmend deutlicher in seinen Empfehlungen.
Erst am Freitag warnte RKI-Chef Lothar Wieler in einer Pressekonferenz, dass die Inzidenz bei den unter 15-Jährigen dramatisch zugenommen habe, seitdem die Kinder und Jugendlichen wieder zur Schule oder in die Kita gehen. Das RKI rät davon ab, diesen Weg bei steigender Inzidenz fortzusetzen.
Ob die Politik den Rat befolgen wird, bleibt abzuwarten. Am 22. März soll das nächste Bund-Länder-Treffen stattfinden. Eigentlich waren dann weitere Öffnungsschritte geplant. Dabei ist schon jetzt klar, dass die angegebenen Voraussetzungen dafür, nämlich eine Inzidenz von unter 50, nicht mehr erreicht werden kann. Stattdessen sind die Landkreise und Landesbehörden nun vielerorts bemüht, die vereinbarte "Notbremse" ab einer Inzidenz von über 100 zu umgehen, ohne erneut Einschränkungen vornehmen zu müssen.
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