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Wofür Hans-Georg Maaßen steht - FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung

Wenn ein Haus in Flammen steht und jemand mit einem Eimer vorbeikommt, um beim Löschen zu helfen, dann wird man ihn als Retter in der Not betrachten. Es sei denn, im Eimer ist Spiritus statt Wasser. Was den CDU-Politiker Hans-Georg Maaßen angeht, so tobt seit Wochen Streit da­r­über, was er mit sich führt. Mitglieder der Union in Südthüringen, die ihn als Kandidaten für den Bundestag aufgestellt haben, sehen in Maaßen einen Feuerwehrmann, der gekommen ist, um sie vor der noch immer mächtigen AfD im Osten zu retten.

Morten Freidel

Redakteur in der Politik der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung

Stefan Locke

Korrespondent für Sachsen und Thüringen mit Sitz in Dresden.

Für andere ist der ehemalige Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz dagegen einer, der Brandbeschleuniger verspritzt. Einer, der mehr Schaden anrichtet als von der Partei abwendet. Für sich genommen, ist so eine Aus­einandersetzung nichts Besonderes. Manchmal stellen Regionen Kandidaten für den Bundestag auf, die nicht allen passen. Das Argument lautet dann meistens: Unser Kandidat soll den Wählern vor Ort gefallen, nicht den Parteichefs in Berlin.

Plötzlich eine bundesweite Angelegenheit

Bei Maaßen ist die Sache aber komplizierter, denn vor wenigen Tagen warf ihm die Klimaschutzaktivistin Luisa Neubauer in der Sendung „Anne Will“ vor, antisemitische Inhalte zu verbreiten. Beziehungsweise sie warf dem Parteivorsitzenden der CDU, Armin Laschet, vor, dass er „rassistische, antisemitische, identitäre und übrigens auch wissenschaftsleugnerische Inhalte“ legitimiere, „verkörpert durch Hans-Georg Maaßen“.

Damit war der Fall Maaßen keine reine Wahlkreisangelegenheit mehr. Neubauer machte daraus eine bundesweite. Seitdem fragen viele: Was ist von Maaßen zu halten? Und welche Hoffnungen verbinden seine Anhänger mit ihm? In Teilen der Union, vor allem im Osten, gilt er als Kandidat mit klarer Kante, als einer, der nicht alles mit sich machen und sich nicht alles gefallen lässt. Ralf Liebaug, der Kreisvorsitzende der CDU Schmalkalden-Meiningen, der die Idee zur Nominierung Maaßens hatte, formulierte es am Abend der Kandidatenwahl so: Maaßen sei „ein Mann, der eine klare und deutliche Sprache spricht, die die Menschen in der Region erwarten“.

Maaßen enttäuschte die Delegierten nicht

Liebaug fügte dann noch einen Satz an, der den Mangel an Bedeutung verdeutlicht, den sie hier, südlich des Thüringer Waldes, schon seit Jahren spüren. „Man kennt ihn, und er wird ernst genommen.“ Maaßen enttäuschte die Delegierten nicht, als er am 30. April um ihre Stimme warb. 1978 sei er in die Junge Union eingetreten, begann Maaßen. Seine Motivation dafür sei „die zunehmend linke Lehrerschaft am Gymnasium“ gewesen.

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Neun Jahre später sei er dann in die CDU gegangen, weil die Partei mit Helmut Kohl und Franz Josef Strauß „eine klar antisozialistische Haltung“ verkörpert habe. Das kam gut an. Er sehe sich gar nicht als konservativ oder gar rechts, fuhr Maaßen fort in seiner Rede. Nein, vielmehr sei er ein „geerdeter Mensch, ein Kind kleiner Leute“. Die gefühlte Zustimmung im Saal bewegte sich in Richtung hundertzehn Prozent. Noch dazu, weil Maaßen nun gegen „Berlin“ austeilte, den „Hang zur Arroganz“ der Eliten geißelte, die „nichts mit dem Leben kleiner Leute“ zu tun hätten.

Bollwerk gegen die Unübersichtlichkeit

Die Frage, was ein Mann wie Maaßen, einst einer der höchsten Beamten der Republik, der aus Mönchengladbach stammt und heute in Berlin lebt, mit den kleinen Leuten in Südthüringen zu tun hat, stellte keiner, nicht mal der Suhler Oberbürgermeister, der vehement für den am Ende chancenlosen Gegenkandidaten aus der Region plädierte. Nein, es geht den Parteimitgliedern – bis auf vier Frauen meist ältere Männer – auch nicht in erster Linie darum, dass ihre Region in Berlin angemessen vertreten wird. Vielmehr ist Maaßen für viele das Symbol einer vermeintlich guten alten Zeit und eine Art Bollwerk gegen die Unübersichtlichkeit von heute.

Die meisten Delegierten sehen in ihm die traditionelle Union, die unter Angela Merkel verloren gegangen sei. Ralf Holland-Nell, Bürgermeister der Gemeinde Floh-Seligenthal, etwa sagt: „Es geht nicht um die Sehnsucht nach alten Zeiten, sondern um die konservative Seele der Union, für die einst Kohl und Strauß standen. Es geht um eine Schärfung unseres Parteiprofils.“

Holland-Nell hat Maaßen aus tiefster Überzeugung gewählt, wie andere auch. Daran ändere auch die seit zwei Wochen anhaltende Empörungswelle aus allen Teilen der Republik nichts. Im Gegenteil: „Ich muss es wirklich so sagen: Hier im Ort, in der Partei, habe ich bisher nur positive Reaktionen erhalten.“ Es sei der richtige Schritt, sagten die Leute, „weil Maaßen letzten Endes das verkörpert, was wir in der CDU wollen“.

Kritik am Linksruck in der Gesellschaft

Der „Ruck in die Mitte“, das „Anbiedern bei den Linken“, das komme bei der Basis ganz schlecht an, sagt Holland-Nell. Dagegen vertrete die AfD heute viele Positionen, die einst die CDU ihr Eigen nannte. Bei der Landtagswahl 2019 habe die Union sehr gute Bewerber aus der Region aufgestellt, die sich reingehängt und auch viel erreicht hätten. Gewonnen aber haben unbekannte AfD-Kandidaten. „Das war ein Schock“, sagt Holland-Nell. „Das darf uns nicht noch mal passieren.“ Mit Maaßen, da ist er sich sicher, werde die CDU wieder zu einer echten Alternative zur AfD.

Auch andere Parteimitglieder kritisieren, wie links Teile der Gesellschaft geworden seien. Kohl, Schmidt, ja selbst Brandt würden heute als rechtsradikal gelten, erzählen sie sich in Südthüringen, und dass es nun gelte, endlich die Spätfolgen der Achtundsechziger zu überwinden. Gerade Ältere verbinden damit weniger eine Emanzipation als schlicht eine Verlotterung der Sitten. Kohl, auch Schmidt und Strauß gelten dagegen als Galionsfiguren einer Gegenbewegung und Vertreter einer Zeit, in der die Fronten noch klar waren, in der man Gut und Böse unterscheiden konnte. Über das damalige Deutschland reden sie in Thüringen wie über ein gelobtes Land, zu dem sie in Südthüringen auch dank der genannten Politiker 1989 endlich Zutritt erhielten.

Im Sozialflügel der CDU sind sie entsetzt

Es ist auch das Land von Hans-Georg Maaßen, eines, von dem er glaubt, dass es von leichtfüßigen Politikern ohne Not verspielt wurde. An dieser Stelle treffen sich der Kandidat und seine Südthüringer Fans. Dass die Weltlage heute, vier Jahrzehnte später, eine andere ist, scheint die Leute nicht zu stören. Im Sozialflügel der CDU sind sie dagegen entsetzt. Christian Bäumler, stellvertretender Bundesvorsitzender der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft, ist überzeugt, dass Maaßens Flirt mit Positionen der AfD seiner Partei schadet. Bäumler will sich zwar nicht anmaßen, die Lage im Osten vollständig zu überblicken, aber „natürlich ist ein Maaßen auch ein Grund dafür, dass Leute aus der bürgerlichen Mitte die CDU nicht mehr wählen“.

Maaßen am 30. April 2021, nachdem ihn die Delegierten in Suhl als Kandidaten für den Bundestag gewählt hatten

Maaßen am 30. April 2021, nachdem ihn die Delegierten in Suhl als Kandidaten für den Bundestag gewählt hatten : Bild: dpa

Und um die gehe es doch vor allem. Man müsse den Leuten jetzt zeigen, „dass wir die Themen Arbeitsplätze und Klimaschutz besser bearbeiten als die Grünen“. Für Bäumler ist Maaßen eine „tickende Zeitbombe“. Wer wisse schon, was der in den nächsten Monaten noch von sich gebe? Die Vorwürfe Neubauers rücken diese Frage in den Vordergrund. Wer antisemitische Positionen vertritt, hat in der CDU keinen Platz, das machte Laschet noch in der Sendung unmissverständlich deutlich. Nachdem Neubauer dort keine Belege für ihren Vorwurf lieferte und Kritik einstecken musste, versuchten sie und andere Aktivisten, welche nachzureichen. So habe Maaßen bei Twitter einen Text der amerikanischen Internetseite unz.com geteilt, dessen Betreiber Ron Unz den Holocaust leugnet. Mittlerweile findet sich der Tweet auf Maaßens Profil nicht mehr.

„Deswegen ist man noch kein Antisemit“

Reicht das aus, um Maaßen das Verbreiten antisemitischer Positionen zu unterstellen? Der Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz Thüringen und ehemalige Generalsekretär des Zentralrats der Juden, Stephan Kramer, ist, was das angeht, skeptisch. „Dass man mal einen Tweet teilt, zu dem man die Hintergründe nicht kennt, das kann schon mal passieren. Deswegen ist man noch kein Antisemit.“ Maaßen warnt in Gesprächen auf Youtube allerdings vor einem „Great Reset“, einem großen Neuanfang. Damit redet er Verschwörungstheoretikern nach dem Mund. Die verstehen unter dem Begriff eine angebliche Verschwörung des Weltwirtschaftsforums, das die Pandemie nutzen wolle, um die Menschheit zu unterjochen.

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Maaßen spricht zwar nicht selbst von einer Verschwörung oder einem Plan, er redet aber mit Leuten, die es tun. Für seine Kritiker steht er damit dem Antisemitismus nahe. Für sie hat der Verschwörungsglaube einen antisemitischen Kern. Eine neue Ausgabe des rechtsradikalen Compact-Magazins beschäftigt sich zum Beispiel ausgiebig mit dem „Great Reset“. Schon auf dem Titel ist die Rede vom „teuflischen Plan der globalen Elite“, im Heft dann von der „neuen Weltordnung“, die sie errichten wolle.

Nicht alle sehen es entspannt

Nicht alle, die von einer „neuen Weltordnung“ fantasieren, halten Juden für die Drahtzieher, manche aber schon. Die Welt der Verschwörungstheoretiker ist unübersichtlich. Antisemitismus ist eine mögliche, aber keine zwingende Folge der vielen Fehlurteile, die solche Theorien nach sich ziehen. Nicht alle, die vom „Great Reset“ sprechen, denken dabei überhaupt an eine „neue Weltordnung“; es müssen nicht einmal alle an eine Verschwörung glauben, die den Begriff in den Mund nehmen. Tatsächlich gab es eine Veranstaltung des Weltwirtschaftsforums unter dem Motto „Great Reset“. Es ging darum, wie man die Corona-Krise als Chance nutzen könne, um die Welt gerechter zu gestalten. In den bislang bekannten Aussagen von Maaßen bezieht er sich auf diesen Anspruch.

Dass Maaßen mit Menschen redet, die dahinter mehr sehen, dafür nehmen ihn nur wenige in Schutz. Der Vorsitzende der Werteunion, Alexander Mitsch, deren Mitglied auch Maaßen ist, sagt, man dürfe die Leute nicht den Radikalen überlassen. „Einen Fußballfan treffen Sie auf dem Fußballplatz. Heute gibt es unterschiedliche Blasen, in die Sie reinmüssen, um die Leute noch zu erreichen.“ Mitsch findet, man müsse sich nicht ständig explizit von allen Äußerungen seines Gesprächspartners distanzieren. „Letztendlich ist doch jeder für seine eigenen Aussagen verantwortlich.“

So entspannt sieht das nicht jeder. Thüringens Verfassungsschutzpräsident Kramer sagt über Maaßens Gerede vom „Great Reset“: „Bei jedem anderen würde ich sagen: Vielleicht hast du es nicht so mitbekommen, was dahinter steht. Bei Maaßen haben wir es aber mit jemandem zu tun, der das Feld der Neurechten sehr gut kennt.“ Man solle zwar nicht künstlich einen Antisemiten herbeireden. „Aber mildernde Umstände kann ich für Maaßen nicht anführen.“ Und Remko Leemhuis, Direktor des American Jewish Committee in Berlin, sagt, bei Begriffen wie „Great Reset“ müsse Maaßen klar sein, „dass er damit antisemitische Stereotype bedienen kann“. Das erwarte er insbesondere „von einem ehemaligen Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz“.

Leemhuis stört sich aber daran, wie die Diskussion zustande gekommen ist. Er sei überrascht gewesen, „dass Antisemitismus auf einmal das Thema von Luisa Neubauer ist. Bisher habe ich sie darüber nicht sprechen hören. Ich hatte in der Sendung den Eindruck, wir befinden uns im Wahlkampf. Und ich möchte ganz klar davor warnen, dass das Thema Antisemitismus für Wahlkampfzwecke missbraucht wird.“

Er kritisiert auch den Angriff auf Laschet, der sich eindeutig bei dem Thema positioniert habe. „Antisemitismus ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. Alle Parteien und Organisationen sollten vor ihrer eigenen Haustüre kehren. Wenn sie das nicht tun und mit dem Finger auf andere zeigen, dann darf man schon den Verdacht äußern, dass sie das Thema instrumentalisieren.“

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