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Reul zu Versammlungsgesetz: „Grundrecht auf friedliche Demonstration, aber keines auf Störung“ - WELT

Fast ganz am Ende des Gesetzesentwurfs steht der umstrittene Passus: der Vergleich mit den NSDAP-Schlägertrupps SA und SS in der Weimarer Zeit. Es ist einer der umstrittenen Aspekte einer umfangreichen Novelle, die das Versammlungsrecht in Nordrhein-Westfalen neu bestimmen soll.

Die Regierung in dem bevölkerungsreichsten Bundesland will in dem neuen Gesetz ein „Militanzverbot“ verankern. Künftig soll uniformiertes, gewaltbereites Auftreten mit militant-einschüchternder Wirkung bei Demos verboten sein. In der Begründung des Gesetzestextes wird dann beispielhaft an „rechts- und linksextremistische Verbände in der Weimarer Republik“ erinnert.

Und im nächsten Satz der Bogen in die heutige Zeit geschlagen, zum „Schwarzen Block“ der linksradikalen Antifa, zu neonazistischen Gruppierungen mit Springerstiefeln, Marschtritt und auch zu „gleichfarbigen Overalls“ von Klima-Aktivisten, etwa bei den Protesten gegen die Braunkohle.

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Im rot-grün-linken Spektrum herrscht große Empörung darüber, dass auch Klima-Aktivisten mit den Trupps der Nationalsozialisten in Beziehung gesetzt werden. Zugleich dient der Vergleich als Mobilisierungsmotiv in den eigenen Reihen. Ein Bündnis von mehr als 75 Initiativen will das Versammlungsgesetz stoppen, flankiert von SPD und Grünen im Landtag.

NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) ist als Initiator der Novelle wieder einmal zum Feindbild geworden. Seit dem Amtsantritt der schwarz-gelben Landesregierung von Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) 2017 hat Reul der Innenpolitik einen eigenen, bundesweit sichtbaren Stempel aufgedrückt und treibt seine „Null-Toleranz“-Agenda voran.

Ein reformiertes Versammlungsgesetz, womöglich das strengste bundesweit, wäre ein weiterer Meilenstein für ihn. „Wir machen hier ein Gesetz, um Versammlungen zu ermöglichen und Störungen zu verhindern. Denn es gibt ein Grundrecht auf friedliche Demonstration und freie Meinungsäußerung, aber eben keines auf Störung. Und genau hier bringt das Gesetz mehr Rechtssicherheit“, sagt Reul WELT.

1500 Demos im Jahr 2020 in Köln

Er beruft sich auf einen Vorschlag von Wissenschaftlern für eine Novellierung, die von der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung gefördert wurden, darunter ein ehemaliger Richter des Bundesverfassungsgerichts. Reul geht es darum, klarere Regeln zu schaffen, ohne die Versammlungsfreiheit einzuschränken. Der Innenminister erinnert dabei an Artikel 8 des Grundgesetzes, wonach alle Deutschen das Recht haben, „sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln“.

Demos machen gerade in Großstädten einen erheblichen Teil der Polizeiarbeit vor Ort aus. Allein im Zuständigkeitsbereich des Polizeipräsidiums Köln fanden 2020 fast 1500 Demos unterschiedlicher Größe statt. Als größer werdendes Problem wird das Risiko von Störungen gesehen. Die meisten Demos laufen unproblematisch ab, aber der Aufwand ist beträchtlich. Und bisweilen eskalierten Versammlung in der Pandemie, etwa bei Demos der sogenannten Querdenker.

Gründung und Krisenjahre 1918-1924

Von 1919 bis 1924 hatte die Weimarer Republik mit den Kriegsfolgen, einer Hyperinflation, Umsturzversuchen und politischen Morden zu kämpfen. Der Kapp-Putsch vom März 1920 stellte die Republik auf ihre erste Bewährungsprobe.

Quelle: WELT/Berthold Seewald/Sabrina Bracklow

In der Begründung zum Gesetzentwurf wird einmal mehr an die Probleme nach dem Ersten Weltkrieg erinnert. „Die Weimarer Republik ist auch an ihrer fehlenden Wehrhaftigkeit zugrunde gegangen, am Willen und/oder am (Un-)Vermögen, Demokratie und Republik in Deutschland gegen die gewaltbereiten, gewalttätigen, permanent in Sälen und auf der Straße agitierenden und demonstrierenden Extremisten auf dem linken und rechten Rand des politischen Spektrums zu schützen.“

Der historische Verweis macht deutlich, dass es Reul auch um eine größere Wehrhaftigkeit des Staates, sprich der Polizei, geht.

Es ist gang und gäbe, dass Demos bei den Ordnungsbehörden in der jeweiligen Kommune angemeldet werden und Kooperationsgespräche zwischen Organisatoren und Polizei geführt werden, um einen geordneten Verlauf zu sichern. Allerdings gibt es dazu bisher keine ausdrücklichen Vorschriften – das soll das Gesetz unter anderem ändern.

Mehr Reglementierung von Demonstranten

Vorgesehen ist, Anmelder und Teilnehmer von Demonstrationen stärker zu reglementieren und Ordnungsbehörden ein Eingreifen zu erleichtern. Beispielsweise soll ein „Störungsverbot“ verankert werden. Dann könnte die Polizei leichter gegen Störer vorgehen.

Das bezieht sich auch auf Gegendemos. Die Möglichkeit, öffentliche Versammlungen in geschlossenen Räumen zu verbieten oder die Anwesenheit von Polizisten vorauszusetzen, wenn ein unfriedlicher Verlauf droht, wird ebenfalls genannt.

Eine rechtliche Pflicht zur Mitwirkung der Demonstrationsanmelder wird ausdrücklich verneint, immerhin darf man sich laut Grundgesetz auch ohne Anmeldung und Kooperation spontan versammeln. Allerdings kann die Bereitschaft zur Mitwirkung bei Entscheidungen über Beschränkungen und Verbot berücksichtigt werden.

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Anmeldern können Bußgeld und Freiheitsstrafen drohen, wenn die Veranstaltung wesentlich anders abläuft als angekündigt. Bei Anhaltspunkten für eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit, soll der Veranstalter der Behörde auf Aufforderung hin Namen und Adressen der vorgesehenen Ordner mitteilen.

SPD und Grüne halten eine Neuregelung des Versammlungsgesetzes zwar für notwendig, lehnen jedoch Reuls Entwurf ab. Die Sozialdemokraten beklagen, dass damit Demos verhindert werden sollen, und hat einen alternativen Entwurf vorgelegt. Nach Ansicht der Grünen dominiert bei Reuls Reform der „Ansatz der Gefahrenabwehr“. Der Entwurf sehe in Versammlungen „eine potenzielle Gefahr für die öffentliche Sicherheit“. Juristische Experten in einer Anhörung unterfütterten diese Kritik.

Der öffentliche Druck verschärfte sich jüngst, als Ende Juni in Düsseldorf Polizisten gegen Teile einer Demo vorgingen, die just gegen das geplante Versammlungsgesetz protestierte. Anlass für das Einschreiten war ein Antifa-Block, den die Polizei als Unruhe- und Gefahrenherd definierte. Reul hat das polizeiliche Vorgehen grundsätzlich gerechtfertigt. Allerdings nannte er auch Fehler, etwa dass Minderjährige über Stunden eingekesselt worden seien, es keine ausreichenden Möglichkeiten für einen Toilettengang gegeben habe und ein Journalist zwischen die Fronten geraten sei.

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Ausschlaggebend für den Gesetzentwurf dürfte die Position des FDP-Koalitionspartners sein. Reuls Entwurf wird grundsätzlich unterstützt, doch es gibt Korrekturvorschläge. Auf WELT-Anfrage nannte der innenpolitische Sprecher der FDP-Landtagsfraktion, Marc Lürbke, erstmals mehrere Aspekte. „Für uns ist klar: Durch die neuen Regelungen im Versammlungsrecht darf keine Abschreckungswirkung für die Teilnahme an Demonstrationen entstehen“, betonte Lürbke.

Man wolle die Versammlungsfreiheit stärken. Im Gegensatz zum vorliegenden Gesetzentwurf sollte daher „beispielsweise an Kontrollstellen von Demonstrationen eine Identitätsfeststellung der Versammlungsteilnehmer erst dann erfolgen dürfen, wenn auch tatsächlich verbotene Gegenstände wie Waffen, Schutzausrüstung oder vermummungsgeeignete Mittel gefunden werden“.

Die FDP stehe erweiterten Befugnissen der Polizei zu Bild- und Tonaufzeichnungen in geschlossenen Räumen sowie verdeckten Aufnahmen „sehr kritisch“ gegenüber.

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Das geplante „Militanzverbot“ halten die Freidemokraten für richtig, allerdings mit Einschränkungen: „Eine Ausweitung dieses Militanzverbotes auf sonstige öffentliche Veranstaltungen unter freiem Himmel wie Fußballaufzüge erscheint uns aber sachfremd im Gesetz und daher zu weitreichend“, erklärte Lürbke.

Im parlamentarischen Verfahren will die FDP ihre Änderungsvorstellungen mit der CDU besprechen und entsprechende Anträge einbringen. Es dürfte auch hier eine alte Weisheit zum Tragen kommen: Kein Gesetzentwurf kommt so aus dem Parlament, wie er eingebracht wurde.

Innenminister Reul zu den Razzien gegen Clankriminalität

Bei Ermittlungen gegen Clankriminalität durchsuchten Spezialkräfte der Polizei rund 30 Objekte in Nordrhein-Westfalen. Zu den Ergebnissen hat sich Innenminister Reul geäußert.

Quelle: WELT

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