Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, hat vor einem „steil ansteigenden Antisemitismus in Deutschland“ gewarnt. „Gerade in den vergangenen zwei Jahren haben Straftaten, auch Gewalttaten, gegen Juden und jüdische Einrichtungen in Deutschland erheblich zugenommen“, sagte Haldenwang dem Berliner, „Tagesspiegel“ (Freitag) angesichts des Gedenkens an die Opfer des rechtsterroristischen Anschlags von Halle vor genau einem Jahr.
Auch ein Lagebild des Verfassungsschutzes zeige: Die Sorgen der jüdischen Mitbürger seien berechtigt, dass sie auf offener Straße Opfer von Anfeindungen bis hin zu gewaltsamen Attacken werden könnten. Hier müssten Sicherheitsbehörden äußerst wachsam sein.
„Vor allem muss der Gesellschaft ins Bewusstsein gebracht werden, gemeinsam gegen aufkommenden Antisemitismus vorzugehen“, sagte Haldenwang. Die Gefahr gehe zunehmend von radikalisierten Einzeltätern aus.
Heiko Maas äußert sich besorgt
Bundesaußenminister Heiko Maas hat rechten Terror als „größte Gefahr für unser Land“ bezeichnet. „Inzwischen gibt es alle 24 Minuten in Deutschland eine rechtsextrem motivierte Straftat. Das sind keine Einzelfälle, sondern das ist die bittere rechtsradikale Realität in Deutschland“, sagte der SPD-Politiker der Deutschen Presse-Agentur.
Maas rief jeden Einzelnen dazu auf, Rassismus und Rechtsextremismus die Stirn zu bieten. „Immer nur „Nie wieder“ zu sagen, reicht nicht. Wir sind alle gefordert, unseren Teil dazu beizutragen, damit sich in unserem Land alle sicher fühlen – egal woran sie glauben, wie sie aussehen, heißen, leben oder lieben“, sagte er.
Es sei zwar Aufgabe des Staates dafür zu sorgen, alle hier Lebenden zu schützen. Es sei aber auch die Aufgabe jedes Einzelnen, Rassismus im Alltag laut und deutlich zu widersprechen. „Ich bin fest davon überzeugt, dass die ganz überwältigende Mehrheit will, dass Deutschland ein offenes und demokratisches Land ist. Diese Mehrheit darf nicht schweigen.“ Es sei Mut und Zivilcourage nötig, für Demokratie, Freiheit und Respekt laut und entschieden einzutreten. „Es kommt auf uns alle an, denn erst unser Schweigen macht die Hetzer laut.“
Der Anschlag von Halle
Am 9. Oktober 2019 hatte der schwer bewaffnete Rechtsextremist Stephan Balliet versucht, die Synagoge in Halle zu stürmen und ein Massaker unter 52 Besuchern anzurichten. Als ihm dies nicht gelang, erschoss er eine 40 Jahre alte Passantin und in einem Döner-Imbiss einen 20 Jahre alten Gast. Auf seiner Flucht verletzte der Deutsche mehrere Menschen teils sehr schwer.
Gegen den heute 28-Jährigen aus Sachsen-Anhalt ihn läuft am Oberlandesgericht Naumburg der Prozess. An diesem Freitag wird in Halle mit Veranstaltungen, Gebeten und Kränzen der Opfer gedacht. Dazu werden Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, erwartet.
Bundesjustizministerin Christine Lambrecht erklärte, der Anschlag von Halle bleibe „ein unfassbares Verbrechen, getrieben von erschütterndem Hass gegen Jüdinnen und Juden“. „Der Nährboden solch schrecklicher Taten sind Hass, Hetze und Verschwörungsmythen voller niederträchtigem Antisemitismus. Dagegen müssen wir noch konsequenter vorgehen“, betonte die SPD-Politikerin.
Sie verwies auf das vom Bundestag beschlossene Gesetz gegen Hass und Hetze. Der Kampf gegen Antisemitismus werde auch ein Schwerpunkt der Videokonferenz der EU-Justizminister an diesem Freitag sein, kündigte Lambrecht an.
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