Search

FDP und CDU: Dann attestiert Lindner Merz „staatsmännische Positionen“ - WELT

Ein Jahr vor der Bundestagswahl juckte es Friedrich Merz, die Bundeskanzlerin zu provozieren. Zu diesem Zweck lud der CDU-Politiker den Vorsitzenden der FDP zu einer „philosophischen Wanderung“ in seine Heimat ein, das Sauerland.

Strammen Schrittes ging es mit Blick auf den 842 Meter hohen Gipfel des Kahlen Astens von Winterberg nach Neuastenberg. Philosophiert wurde auf den 15 Kilometern nicht, eher politisiert. Den Wanderern ging es um die Botschaft, dass reformfreudige Wirtschaftsliberale in der Union heimatlos geworden sind. Merz sandte dieses Signal wie schon so oft an Angela Merkel (CDU), die Frau also, die ihn in der Fraktion entmachtet hatte. Und der FDP-Chef wollte von Mindestlöhnen und Steuererhöhungen der schwarz-roten Koalition enttäuschte Marktwirtschaftler ins liberale Lager locken.

Lesen Sie auch
Röttgen (l.) und Laschet (r.) weit abgeschlagen: Geht es nach der Jungen Union, soll Merz CDU-Chef und dann Kanzlerkandidat werden
Junge Union für Merz

So war das im August 2008. Der FDP-Chef damals hieß Guido Westerwelle. Ein Jahr später stimmten 33,8 Prozent der Bürger für die Union, 14,6 Prozent für die FDP, das reichte für eine schwarz-gelbe Koalition. Das Problem: Der CDU-Abgeordnete Merz hatte gar nicht mehr für den Bundestag kandidiert. Und Westerwelle ließ sich von Merkel bei den Koalitionsverhandlungen wirtschafts- und finanzpolitisch über den Tisch ziehen. So konnten seine zentralen Wahlversprechen für mutige Steuerreformen von der Union in der Weltfinanzkrise geschreddert werden. Der Rest ist Politikgeschichte.

Ein Jahr vor der Bundestagswahl im Herbst 2021 lud Merz nun wiederum einen FDP-Vorsitzenden ein. Diesmal nicht zum Wandern ins Hochsauerland, sondern zu einer Buchvorstellung in Berlin: Christian Lindner rezensierte das von Merz verfasste Werk „Neue Zeit. Neue Verantwortung“. In fünf Kapiteln befasst sich der Kandidat für den CDU-Vorsitz auf 238 Seiten mit den Handlungsmöglichkeiten der Politik in der Corona-Pandemie, der ökologischen Erneuerung der Marktwirtschaft, mit innenpolitischen Reformen, Außen- und Europapolitik sowie der zukünftigen Ausrichtung der CDU.

Lesen Sie auch
Demokratie ist der Wettbewerb um die beste Idee – und kann ein Riesenspaß sein, meint Ulf Poschardt
CDU-Vorsitzkandidat

Das Buch, von Merz zu Zeiten des Corona-Lockdowns im Frühjahr geschrieben, kann in seiner Themenbreite als eine Art Programm des Kandidaten für den Parteivorsitz und die Kanzlerschaft verstanden werden. Er habe es auch geschrieben, „um zu lernen“, sagte Merz, und dabei 40 oder 50 andere Bücher auf dem Tisch gehabt, deren Inhalt er mit verarbeitet habe. Es sei darum gegangen, seine eigenen Positionen noch einmal „selbst zu überdenken“.

Dass ausgerechnet Lindner das Werk präsentierte, ist durchaus überraschend. Denn in FDP wie Union ist die These weitverbreitet, dass ein Spitzenkandidat Merz bei der Bundestagswahl wirtschaftsliberal orientierte Bürger eher zur CDU ziehen und den Liberalen so schaden könnte.

Die Abwägungen des FDP-Chefs

Lindner aber sieht das eher pragmatisch: Einfluss auf die Personalentscheidung hat er ohnehin nicht. Zu Merz’ schärfstem Konkurrenten Armin Laschet pflegt er ein enges Verhältnis, kennt dessen Positionen aus dem Effeff, die beiden Nordrhein-Westfalen haben die schwarz-gelbe Koalition in Düsseldorf ausgehandelt.

Und er weiß auch: Laschet tickt im Zweifel grün. Sollte es erneut zu Jamaika-Verhandlungen kommen, ist es nicht ausgeschlossen, das Laschet wie Merkel vor zweieinhalb Jahren vor allem den grünen Verzichtsvorschlägen nachgibt, weniger den marktwirtschaftlichen Ideen der FDP. Beim dritten Kandidaten Norbert Röttgen verhält es sich ähnlich.

Lesen Sie auch
Alle gegen Friedrich Merz (r.)?
Konflikt um Parteivorsitz

Kurz: Es kann aus liberaler Sicht nicht schaden, sich näher mit dem Kandidaten Merz zu befassen. Gesellschaftspolitisch bliebe den Freien Demokraten neben dem konservativen Katholiken Merz, einst Erfinder der Leitkulturdebatte, ohnehin reichlich Profilierungsraum. Und sollte der im CDU-internen Wettstreit gewinnen und seine Partei in den Wahlkampf führen, so Lindners aktuelle These, müsse das für die FDP nicht automatisch von Nachteil sein.

„Gäbe es eine Persönlichkeit an der Spitze der Union, die sich auch wieder für Fragen der Wirtschafts- und Finanzpolitik interessiert“, so Lindner bei der Buchvorstellung, könne dies „das Debattenklima in Deutschland insgesamt beeinflussen“. Mit Merz würde mutmaßlich mehr über Wirtschaft gesprochen, „und dann werden wir unsere Antworten geben“, so der FDP-Chef.

Mitgliederbefragung zum CDU-Parteivorsitz – Junge Union plädiert für Merz

Der CDU-Nachwuchs von der Jungen Union stellt die Ergebnisse einer zweiwöchigen Mitgliederbefragung zum CDU-Vorsitz vor. Das Ergebnis gilt als Empfehlung an den CDU-Parteitag. Sehen Sie hier die Pressekonferenz in voller Länge.

Quelle: WELT

Lindner las das Buch nach eigener Aussage an einem Abend. Sein Fazit: Es sei authentisch, ohne Ghostwriter verfasst, der Leser vernehme den Merz-„Sound“ und könne sich vorstellen, wie der Autor „im Sauerland am Schreibtisch gesessen und in die Tasten gehauen hat“.

Bei seinem liberalen Soundcheck fiel Lindner auf: Der „Reformfuror“ des CDU-Politikers von vor 15 Jahren sei „einer Orientierung auf staatsmännische Positionen gewichen“. Unter Merz werde die Union nicht „mit der Ära Merkel brechen“, sondern „eine Partei der Mitte und der Kontinuität des Regierungshandelns“ bleiben. Viele Positionen seien „abgesoftet“.

Damit beschrieb er die Lücke, die für die FDP auch neben Merz bleiben würde, in welcher Konstellation auch immer: die des Reformantreibers. Als „wohltuend“ habe er es allerdings grundsätzlich empfunden, so Lindner, dass Merz „unsere gegenwärtige Ordnung in Wirtschaft und Gesellschaft aktiv verteidigt“, dass er bewährte Grundprinzipien der Bundesrepublik bewahren wolle. Merz gebe durch seine Selbstvergewisserung einen Kompass, Orientierung. Manchmal komme der Leser „aus dem Nicken gar nicht heraus“.

Lesen Sie auch
Öffentlicher Bruch: FDP-Bundeschef Christian Lindner (r.) hält maximale Distanzierung zum Thüringer Landesvorsitzenden Thomas Kemmerich für geboten
FDP in der Krise

Insgesamt, so bilanzierte Lindner, sei hier ein überzeugter Marktwirtschaftler am Werk. Es blieb der Eindruck, dass eine FDP-Beteiligung an einer nächsten CDU-geführten Regierung unter Merz besser gelingen könnte als unter Merkel. Um den schwarz-gelben Soundcheck am Ende aber nicht allzu harmonisch ausfallen zu lassen, übte Linder Kritik im Detail, so an der aus seiner Sicht zu wenig ambitionierten Rentenpolitik oder einer fehlenden Absage an Steuererhöhungen. Und auch bei Merz erkennt er eine zu große Annäherung an grüne Klima-Verbotspolitik.

Bei der Buchvorstellung allerdings war Merz in Sachen Auseinandersetzung mit den Klimaaktivisten von Fridays for Future mutiger unterwegs als der auf diesem Terrain in der Vergangenheit ungeschickt formulierende Lindner („Das ist eine Sache für Profis“).

Bei aller Begeisterung der Jugend für die politische Debatte – sie müsse auch zuhören und Widerspruch akzeptieren, so Merz. Und „diese Behauptung, wir hätten dieser Generation die Kindheit genommen, ist ein völlig abwegiger Vorwurf.“ Lindner sagte nur: „In meinem Alter will man solch aufgeheizte Debatten nicht mehr führen.“

Lesen Sie auch
Noreen Thiel
Junge Liberale Noreen Thiel

Let's block ads! (Why?)

Artikel von & Weiterlesen ( FDP und CDU: Dann attestiert Lindner Merz „staatsmännische Positionen“ - WELT )
https://ift.tt/3p74Ex5
Deutschland

Bagikan Berita Ini

0 Response to "FDP und CDU: Dann attestiert Lindner Merz „staatsmännische Positionen“ - WELT"

Post a Comment

Blogger news

Powered by Blogger.