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Koalition streitet über Demo der „Querdenker“ - FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung

Die sogenannte „Querdenken“-Demo von Corona-Leugnern am Wochenende in Leipzig hat zu Streit in der großen Koalition geführt. Während die SPD, wie auch Grüne und Linke, die Polizei dafür kritisierte, dass sie Tausende Teilnehmer nach Auflösung der Demonstration durch die Leipziger Innenstadt ziehen ließ, verteidigten CDU-Politiker die Sicherheitskräfte. Sie kritisierten hingegen das zuständige Oberverwaltungsgericht (OVG), dass die Demonstration in der Innenstadt zugelassen hatte.

Kritik am Polizeieinsatz äußerte die SPD-Vorsitzende Saskia Esken. Die Polizei habe sich „völlig überfordert“ gezeigt. Massenhafte Verstöße gegen die Maskenpflicht seien „kaum geahndet“ worden, Journalisten seien den Übergriffen Rechtsradikaler „schutzlos ausgeliefert“ gewesen, äußerte die SPD-Vorsitzende auf Twitter. Esken warf Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) und dem sächsischen Innenminister Roland Wöller (CDU) vor, sie hätten die Polizisten sehenden Auges und völlig unzureichend ausgestattet in diese Situation laufen lassen. Auch SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil hatte Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) und Wöller scharf kritisiert. Während er Gastronomen erklären müsse, dass sie wegen der Corona-Zahlen schließen müssten, ließen Kretschmer und Wöller „eine große Corona-Leugner-Party zu“. Das sei „unfassbar und unverantwortlich“.

CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak reagierte am Montag mit deutlicher Kritik an Esken. „Sie hat keine Ahnung von der polizeilichen Lage vor Ort“, sagte er in Berlin. Esken solle „nicht einfach lospoltern“ gegen die Polizei, nur weil sie glaube, damit Zustimmung in den sozialen Medien zu bekommen. Der CDU-Politiker Thorsten Frei, Fraktionsvize im Bundestag, nannte die Entscheidung des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts verantwortungslos. „Es ist vollkommen weltfremd zu glauben, dass sich die Teilnehmer einer solchen Demonstration an Auflagen zum Infektionsschutz halten“, sagte Frei am Montag. Die Kritik von SPD und Grünen am Polizeieinsatz sei „bestenfalls wohlfeil“. Wenn man der Polizei eine nicht zu bewältigende Aufgabe aufbürde, könne man sie nicht anschließend für eine unzureichende Durchführung kritisieren.

Samstagabend in Leipzig

Samstagabend in Leipzig : Bild: EPA

„Angesichts einer Masse von rund 20.000 Menschen auf engstem Raum hatte die Polizei von Beginn an keine Chance, die Infektionsschutzregeln durchzusetzen, es sei denn, sie wäre mit brachialer Gewalt gegen die Demonstranten vorgegangen“, sagte Frei. Es bedürfe keiner großen Phantasie, um sich vorzustellen, wie die Vorwürfe von SPD und Grünen in diesem Fall gelautet hätten. Auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) wandte sich gegen die Kritik am Einsatz. „Gegen Maskenverweigerer Wasserwerfer einzusetzen ist nicht verhältnismäßig“, sagte GdP-Vizechef Jörg Radek den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

In Sachsen begann am Montag die politische Aufarbeitung des Demonstrationsdesasters. Die Linke-Fraktion beantragte eine Sondersitzung des Innenausschusses, auf der sie noch in dieser Woche Fragen nach dem Einsatzkonzept der Polizei sowie nach deren Lageeinschätzungen und Gefahrenprognosen stellen will. Bereits eine Woche zuvor hatten Tausende Teilnehmer bei der Demonstration eines lokalen „Querdenken“-Bündnisses im Zentrum Dresdens die Auflagen zum Infektionsschutz massenhaft missachtet, ohne dass die Polizei eingeschritten wäre.

Druck auf Innenminister Wöller

Die Linke forderte zugleich Ministerpräsident Kretschmer auf, Innenminister Wöller „wegen wiederholten Versagens“ zu entlassen. Der Minister schiebe „schon wieder“ die Schuld auf andere, während „sein andauerndes Führungsversagen“ einer massenhaften Gesundheitsgefährdung Vorschub leiste, sagte Fraktionschef Rico Gebhardt. Wöller hatte sich am Sonntag hinter die Polizei gestellt und die Justiz für die Eskalation verantwortlich gemacht. Die Entlassung Wöllers verlangten auch die in Sachsen mit der Union regierenden Grünen sowie Abgeordnete und Funktionäre des Koalitionspartners SPD. Kretschmer, der sich am Montag wegen eines positiven Corona-Falls im Kabinett nach Hause in Quarantäne begeben hatte, stärkte Wöller jedoch den Rücken.

Kontrovers diskutiert wird zudem die Frage, warum das Sächsische Oberverwaltungsgericht dem Eilantrag der Stuttgarter „Querdenken“-Initiative zumindest in einem wesentlichen Teil stattgab. Eine Begründung wollte das Gericht am Montag dazu nicht abgeben, sondern verwies auf eine ausführliche Stellungnahme in den kommenden Tagen. Die Veranstalter hatten sich noch in der Nacht zum Samstag gegen eine gerichtlich bestätigte Auflage der Stadt Leipzig gewehrt, ihre Demonstration auf das Messegelände zu verlegen, wo auch unter Pandemiebedingungen ausreichend Platz für die angemeldete Zahl von 20.000 Teilnehmern gewesen wäre. Die für Versammlungsrecht zuständigen drei Richter des 6. Senats des OVG sahen das jedoch anders. Sie entschieden am Samstagmorgen, dass die Demo wie geplant im Zentrum stattfinden könne. Dem Antrag, auch das Abstandsgebot und den Mund-Nasen-Schutz zu kippen, gaben die Richter jedoch nicht statt, sondern bekräftigten die Schutzmaßnahmen sowie eine Begrenzung der Teilnehmerzahl auf 16.000.

Die Veranstalter kamen jedoch auch nach mehrfacher Aufforderung durch die Polizei nicht ihrer Pflicht nach, Abstand zu halten und Mund-Nasen-Schutz zu tragen. Mehr als 90 Prozent der Teilnehmer verzichteten auf jeglichen Schutz und „feierten“ eine Art riesige Open-Air-Corona-Party. Als zwei Stunden nach Beginn auch noch die Maximalzahl von 16.000 Teilnehmern sichtbar überschritten wurde, entschlossen sich Stadt und Polizei zur Auflösung der Veranstaltung. Die Teilnehmer folgten dem allerdings nur widerwillig. Die Polizei habe aus Gründen der Verhältnismäßigkeit darauf verzichtet, Gewalt anzuwenden, erklärte Leipzigs Polizeipräsident Torsten Schultze. Den Einsatzkräften war es zudem nicht gelungen, die Teilnehmer vom Leipziger Ring fernzuhalten, wo sie – nach Ansicht zahlreicher damaliger Bürgerrechtler in Verhöhnung der Friedlichen Revolution von 1989 – „Wir sind das Volk“ skandierend sowie „Oh, wie ist das schön!“ singend entlangliefen.

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