Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat Kritik am Tempo der soeben angelaufenen Corona-Impfungen in Deutschland und an der Menge des zur Verfügung stehenden Impfstoffs zurückgewiesen. Zugleich verteidigte er in einem Live-Interview der Bild-Zeitung den eingeschlagenen europäischen Weg beim Kauf des Impfstoffs. "Es ist für alle knapp", sagte der CDU-Politiker. Deutschland habe viel Impfstoff bestellt. "Die absolute bestellte Menge verändert wenig daran, wie viel am Anfang es jetzt halt gibt, zum Beginn, wo es knapp ist." Deutschland erwarte von den Herstellern Biontech und Moderna zusammen über 130 Millionen Impfdosen. "Die allein würden schon reichen im nächsten Jahr, um jedem, der geimpft werden will, ein Impfangebot zu machen."
Spahn betonte, Deutschland habe sich bewusst entschieden, bei der Beschaffung des Impfstoffs "den europäischen Weg zu gehen". Dies schließe auch aus, mit den Herstellern parallel nochmals bilateral zu verhandeln. "Wenn man sagt, wir machen etwas zusammen, dann fange ich nicht an, hintenrum etwas allein zu machen". Deutschland kaufe aber alle Impfdosen auf, die andere Länder aus dem EU-Kontingent nicht nehmen. Er sei sehr gespannt darauf, ob er nicht in einigen Monaten dafür kritisiert werde, "dass wir zu viel Impfstoff haben".
Die Debatte, ob Corona-Geimpfte bestimmte Privilegien wie etwa Zutritt zu Restaurants erhalten sollen, nannte Spahn "durchaus richtig und wichtig". Es gebe einen Unterschied zwischen staatlichem Handeln und öffentlicher Daseinsvorsorge und dem privat-gewerblichen Bereich. Er sei "selber hin- und hergerissen in der Frage", räumte Spahn ein. "Ich finde, wir sollten da nicht zu viel regulieren." Allerdings fügte er hinzu, dass unklar sei, ob Geimpfte weiterhin andere anstecken könnten. Das mache "einen ganz entscheidenden Unterschied". Er empfehle, die Erkenntnisse dazu abzuwarten. Im öffentlichen Bereich und bei der Daseinsvorsorge, also etwa in Krankenhäusern, Rathäusern oder dem öffentlichen Nahverkehr, könne man aus seiner Sicht keinen Unterschied zwischen Geimpften und Nicht-Geimpften machen, sagte Spahn.
Coronavirus-Mutation in NRW nachgewiesen
Die zunächst in Großbritannien nachgewiesene Mutation des Coronavirus ist nun auch nachweislich in Nordrhein-Westfalen angekommen. "Das Landeszentrum Gesundheit ist gestern Nachmittag vom RKI telefonisch darüber informiert worden, dass die aus Großbritannien bekannte Mutation des Coronavirus bei einer Person aus dem Kreis Viersen und damit erstmals auch in NRW nachgewiesen worden ist", teilte das NRW-Gesundheitsministerium am Dienstag mit. Das örtliche Gesundheitsamt gehe dem Fall mit der neuen Zusatzinformation nun weiter nach.
Wie der Kreis Viersen mitteilte, handelte es sich bei dem Infizierten um einen 58-Jährigen, der Anfang Dezember erkrankt und inzwischen bereits wieder genesen sei. Der Mann habe sich nicht in Großbritannien, sondern bei einem Kollegen aus Tschechien angesteckt. In den vergangenen Tagen war die mutierte Coronavirus-Variante B.1.1.7 auch schon bei Patienten in Baden-Württemberg und Niedersachsen nachgewiesen worden. Sie ist nach Einschätzung von Wissenschaftlern deutlich ansteckender als die bisher bekannte Version.
Krankenhausgesellschaft warnt vor finanziellen Engpässen
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft schlägt angesichts der coronabedingten Betriebseinschränkungen Alarm: "Wenn die Bundesregierung die Hilfen nicht deutlich erhöht, werden flächendeckend Kliniken bereits im ersten Quartal 2021 nicht mehr die Gehälter ihrer Mitarbeiter zahlen können", sagte der Präsident der Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. "Das Geld aus der Regelversorgung fehlt." Die Krankenhäuser verfügten nur noch begrenzt über finanzielle Mittel.
Zwei Drittel aller Klinikbetreiber rechnen im Gesamtjahr 2020 mit Verlusten, wie aus dem aktuellen Krankenhaus-Barometer des Deutschen Krankenhausinstituts (DKI) hervorgeht, das dem Berliner Tagesspiegel (Dienstag) vorliegt. 18 Prozent der knapp 2000 Kliniken mit 1,3 Millionen Mitarbeitern beurteilen ihre aktuelle wirtschaftliche Lage als gut.
Die Bundesregierung hatte Mitte Dezember einen neuen Rettungsschirm für die Krankenhäuser aufgespannt. Nach dem Konzept des Gesundheitsministeriums erhalten diese in besonders coronabelasteten Gebieten Ausgleichszahlungen, wenn sie auf aufschiebbare Eingriffe verzichten und damit Betten frei halten. Davon würden aber lediglich 25 Prozent der Kliniken erfasst, erklärte Gaß. Der Verbandspräsident schlug vor, dass die Kliniken auf der Basis von 2019 monatlich ihr Budget erhalten sollten und Ende 2021 genau abgerechnet wird.
RKI meldet 12 892 Neuinfektionen und 852 Tote
Die deutschen Gesundheitsämter haben binnen 24 Stunden 12 892 Corona-Neuinfektionen gemeldet. Außerdem wurden 852 weitere Todesfälle verzeichnet, wie das Robert-Koch-Institut (RKI) am Dienstag bekannt gab. Diese Zahlen sind aber nur bedingt mit den Werten der Vorwoche vergleichbar, da das RKI zum Jahreswechsel hin mit einer geringeren Zahl an Tests und auch weniger Meldungen von den Gesundheitsämtern rechnete. Dennoch war die Zahl der Todesfälle vor einer Woche mit 731 Fällen geringer. Ein Höchststand von 962 Todesfällen war am 23. Dezember registriert worden. Die Zahl der Neuinfektionen betrug vor einer Woche 19 528.
Die Zahl der binnen sieben Tagen an die Gesundheitsämter gemeldeten Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner (Sieben-Tage-Inzidenz) lag am Dienstagmorgen bei 149,2. Ihr bisheriger Höchststand war am 22. Dezember mit 197,6 erreicht worden. Die Unterschiede zwischen den Bundesländern sind jedoch enorm: Die höchsten Inzidenzen hatten am Dienstag Sachsen mit 364,7 und Thüringen mit 273,7 den niedrigsten Wert hatte Mecklenburg-Vorpommern mit 77,2.
Das RKI zählte seit Beginn der Pandemie 1 664 726 nachgewiesene Infektionen mit Sars-CoV-2 in Deutschland (Stand: 29.12., 00.00 Uhr). Die Gesamtzahl der Menschen, die an oder unter Beteiligung einer nachgewiesenen Infektion mit Sars-CoV-2 gestorben sind, stieg bis Dienstag auf 30 978. Die Zahl der Genesenen gab das RKI mit etwa 1 277 900 an.
Der bundesweite Sieben-Tage-R-Wert lag laut RKI-Bericht vom Montag bei 0,74 (Sonntag: 0,83). Dieser R-Wert bedeutet, dass 100 Infizierte rechnerisch 74 weitere Menschen anstecken. Der Wert bildet jeweils das Infektionsgeschehen vor acht bis 16 Tagen ab. Liegt er für längere Zeit unter 1, flaut das Infektionsgeschehen ab. Das RKI betont in seinem Bericht aber, dass während der Feiertage und zum Jahreswechsel hin Corona-Fälle nur verzögert angezeigt, erfasst und übermittelt werden, "so dass der R-Wert zudem ggf. unterschätzt wird".
Kritik an Vergabesystem für Impftermine
Die gesundheitspolitische Sprecherin der Unionsfraktion im Bundestag, Karin Maag (CDU), hat Kritik an der Terminvergabe für die Corona-Impfungen geäußert. "Es kann nicht sein, dass man eine Impfkampagne startet und dann keine Termine bekommen kann", sagte die Stuttgarter Bundestagsabgeordnete der Augsburger Allgemeinen. Sie habe vergeblich versucht, für ihre 85-jährige Mutter einen Impftermin über den bundesweiten Patientenservice unter der Telefonnummer 116117 zu reservieren. Sie sei auf die gleichnamige Handy-App verwiesen worden. "Doch bei der App ist die Terminvergabe noch nicht freigeschaltet."
Das seien "Anfängerfehler", sagte Maag. "Das ärgert mich." Das Bundesgesundheitsministerium erklärte nach Angaben der Zeitung, dass die Länder für Impfungen und Terminvergabe zuständig seien. "Das ist Ländersache", wird eine Sprecherin zitiert. Die Bundesländer können ihren Worten zufolge das Terminsystem hinter der Patientennummer nutzen, müssten das aber nicht. Manche Länder wollten die Terminvergabe unter 116117 auf eigene Systeme weiterleiten.
RKI: Mehr als 18 000 Menschen geimpft
Einen Tag nach dem offiziellen Start der Impfungen gegen das Coronavirus hat das Robert-Koch-Institut (RKI) erste Zahlen zur Kampagne veröffentlicht: Demnach wurden bereits mehr als 18 000 Menschen geimpft. Die Gesamtzahl der Impfungen lag demnach am Montagmorgen bei 18 454 (ohne Hessen, Datenstand 28.12.2020, 8:00 Uhr).
Zu Beginn der Kampagne werden in Deutschland zunächst Bewohner von Alten- und Pflegeheimen, Menschen über 80 Jahre sowie medizinisches Personal und Pflegende in Heimen und Kliniken geimpft. Offiziell war in Deutschland am Sonntag mit den Corona-Impfungen begonnen worden. Vereinzelt waren jedoch bereits am Samstag Menschen geimpft worden.
Spahn gegen Sonderrechte für Geimpfte
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat sich gegen Sonderrechte für Geimpfte ausgesprochen. "Viele warten solidarisch, damit einige als Erste geimpft werden können. Und die Noch-nicht-Geimpften erwarten umgekehrt, dass sich die Geimpften solidarisch gedulden", sagte Spahn den Zeitungen der Funke-Mediengruppe am Montag.
"Keiner sollte Sonderrechte einfordern, bis alle die Chance zur Impfung hatten." Diese gegenseitige Rücksicht halte die Nation zusammen. "Gegen die Pandemie kämpfen wir gemeinsam - und wir werden sie nur gemeinsam überwinden." Am Wochenende hatten die Impfungen gegen das Coronavirus in Deutschland begonnen. Auch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hatte sich gegen Sonderrechte ausgesprochen.
Ramelow und Schwesig erwarten Verlängerung der Beschränkungen
Ungeachtet des bundesweiten Impfstarts geht Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) davon aus, dass die strengen Corona-Einschränkungen, die derzeit gelten, über den 10. Januar hinaus verlängert werden müssen. "Wenn die Ministerpräsidenten am 5. Januar erneut beraten, wird nichts auf Lockerungen hindeuten", sagte Ramelow am Montag dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Es sei "zu früh, Entwarnung zu geben". Er richte sich darauf ein, "dass wir bis März mit Einschränkungen leben müssen", sagte der Linke-Politiker.
Auch die mecklenburg-vorpommerische Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) rechnet mit einer Verlängerung des Lockdowns. "Wir müssen deutlich unter eine Inzidenz von 50 kommen, damit wir wieder in besserem Fahrwasser sind - und das wird noch eine lange Strecke", sagte sie im Bild-Talk "Die richtigen Fragen" am Sonntagabend. Der Impfstoff gebe zwar Hoffnung und Zuversicht, dürfe aber nicht leichtsinnig machen, fügte die Ministerpräsidentin hinzu.
Kanzleramtschef Helge Braun hält eine Verlängerung des Corona-Lockdowns über den 10. Januar hinaus ebenfalls für wahrscheinlich. "Ich rechne damit, dass wir zunächst am 5. Januar, wenn wir uns das nächste Mal treffen, das Ganze noch nicht genau beurteilen können und deswegen den Lockdown noch fortsetzen müssen", sagte Braun in einem Interview mit RTL/ntv.
Auch Saarlands Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) sprach sich dafür aus, den harten Lockdown Anfang Januar zu verlängern. Die aktuellen Infektionszahlen seien trügerisch, sagte er RTL/ntv. Sein Eindruck sei, "dass die Menschen sich über Weihnachten sehr zurückgenommen haben." Sorge bereite ihm aber Silvester. "Ich habe große Sorge, dass an Silvester gefeiert wird. Das muss dringend unterbunden werden."
Aktuell liegt die Sieben-Tage-Inzidenz, die die Zahl der Neuinfektionen bezogen auf 100 000 Einwohner angibt, bundesweit aktuell bei 157,8. Die derzeitigen bundesweiten Einschränkungen mit der Schließung von Läden, Schulen und Kindergärten sind bislang auf den 10. Januar befristet.
Artikel von & Weiterlesen ( Coronavirus News: Spahn: Impfstoff ist "für alle" knapp - Süddeutsche Zeitung )https://ift.tt/3pEpbsl
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