Analyse
Stand: 29.03.2021 20:16 Uhr
Kanzlerin Merkel hat bei "Anne Will" zwar verdeutlicht, dass einige Bundesländer mit ihren Strategien nicht gerade zur Bewältigung der Pandemie beitragen. Sie äußerte aber auch keine Idee, wie es alle gemeinsam schaffen könnten.
Von Michael Stempfle, ARD-Hauptstadtstudio
Ja, im Kräfteverhältnis zwischen Bundeskanzlerin und Regierungschefs der Länder hat Angela Merkel einen Punktsieg erreicht. Ihre Taktik: Sie wählt einen Fernsehauftritt, um möglichst ehrlich und nüchtern ihre Sicht der Dinge zu schildern. Sie präsentiert sich als Bundeskanzlerin, die aufgrund der Pandemie gezwungen ist, die strenge Gouvernante zu spielen.
Der Eindruck, den sie dabei zu bester Sendezeit erweckt: Bei den MPKs muss ihr ein Haufen ungezogener Bengel und Gören gegenübersitzen, von denen zumindest einige ständig nur Lockerungen wollten und damit das Leben vieler Bürger riskierten. Wer die Kanzlerin in den vielen Regierungsjahren beobachtet hat, weiß: Das ist eine Strategie, die Merkel bewusst gewählt hat. Dahinter steckt Berechnung.
Merkel wusste, dass sie in der Woche zuvor bereits viele Sympathiepunkte erkämpft hatte, indem sie die volle Verantwortung für den Schlamassel um die Osterruhe auf ihre Kappe genommen, sich entschuldigt und damit Verantwortung übernommen hat.
Spielführerin mit klaren Ansagen
Am Sonntagabend ging sie als diejenige zur Talkshow "Anne Will", die Teamgeist gezeigt hatte und daher auch als Spielführerin klare Ansagen machen konnte. Die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten hingegen müssen das Spektakel wohl teilweise fingernagelkauend am Bildschirm verfolgt haben. Aus Sorge, Merkel könnte auch die Urlaubswünsche aus Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern zur Sprache bringen.
Merkel liefert Drama
Dass dann bei öffentlicher Schelte die eigenen CDU-Ministerpräsidenten besonders schlecht weggekommen sind, ist natürlich ebenfalls kein Zufall. Die eigene Mannschaft öffentlich zu kritisieren, erhöht die Ernsthaftigkeit. Auf Neudeutsch: Merkel liefert Drama. Ihre Bemerkungen zum CDU-Vorsitzenden Armin Laschet werden von manchen in der CDU gar als Foul gewertet. Es habe keinen Grund gegeben, ihn so hervorzuheben, heißt es hinter vorgehaltener Hand.
Was bei Merkel allerdings fehlte: Neue Ideen, wie die Mannschaft aus Regierungschefs von Bund und Ländern gegen die Pandemie gewinnen soll. Merkel konnte sich noch nicht einmal zu einem Plädoyer für Ausgangssperren durchringen, wie sie etwa der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach anmahnt. Genauso wenig will Merkel einen vorgezogenen MPK-Termin vor dem 12. April. Stattdessen erlebten die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten eine Kanzlerin, die sich - ähnlich wie ein Sportler - vom Applaus der Zuschauer anfeuern lässt.
Sie selbst waren plötzlich in der Defensive. Die Antworten von Armin Laschet, Tobias Hans oder Bernd Althusmann auf Merkels TV-Auftritt wirkten - wie nach einem verlorenen Match - etwas hilflos. Ihre Botschaft: Sie wollten doch auch, dass die Infektionszahlen runtergingen. Öffnungen gebe es nur bei Testungen. Mimimi.
Am 12. April muss es anders laufen
Klar ist aber auch: Diese Taktik, im Fernsehen für Unterstützung zu werben, kann Merkel nur einmal wählen. Danach verliert diese Taktik an Wirkung. Die Drohung, die jetzt dahinter steht: Wenn die bisherige Mannschaft aus Regierungschefs von Bund und Ländern nicht funktioniert, dann muss ein neues Team gebildet werden - mit mehr Macht für den Bund und weniger für die Länder.
Wie sich so eine Neuaufstellung umsetzen ließe, ist unklar. Ebenso, ob Merkel wirklich eine Neuaufstellung wollte. Vielmehr lautet die Botschaft der Kapitänin: Die nächste MPK am 12. April muss anders laufen als die Treffen zuvor. Alle Teilnehmer müssen sich an den Spielplan, der ausgearbeitet wird, halten.
Klar ist auch: Dann muss sich auch Merkel besser vorbereiten. Für einen Plan wie die Osterruhe, der sich nicht umsetzen lässt, kann sie sich nicht ein zweites Mal entschuldigen. Am 12. April müssen alle funktionieren. Ob die Regierungschefs von Bund und Ländern dann den Applaus der Bevölkerung bekommen, ist nicht gewiss. Zu oft hat die Mannschaft nicht die Erwartungen erfüllt.
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