Für die Impfkampagne in Hamburg sollte der Montag eigentlich ein guter Tag werden. Nach langen Vorbereitungen ging es in ausgewählten Arztpraxen endlich mit den ersten Impfungen los. Gezielt hatten diese Patienten mit schweren Vorerkrankungen eingeladen, und die ersten Dosen des Impfstoffs wurden an die Praxen geliefert. Es war der von Astra-Zeneca, weil er sich leicht transportieren und kühlen lässt. Um 15.15 Uhr traf bei der Behörde der Hamburger Gesundheitssenatorin Melanie Leonhard (SPD) dann eine E-Mail aus dem Bundesgesundheitsministerium ein. Wenige Zeilen waren es nur. Danach war klar, dass es doch kein guter Tag mehr werden würde.
Die Aufteilung bei der Impfkampagne ist klar: Der Bund bestellt die Impfstoffe und gibt den Rahmen vor, bis hin zur Einteilung in die Prioritätengruppen. Dafür aber, dass die Spritzen in die Oberarme kommen, müssen die Länder sorgen: von der Terminvergabe bis zur Sicherheit der Impfzentren. Für die zuständigen Behörden und Politiker ist das seit Monaten ein Auf und Ab bei den Planungen, zwischen Lieferengpässen und -ausfällen und dem Frust und der Unsicherheit bei Bürgern. Fast mutet es wie eine Achterbahnfahrt an, und nach der Aussetzung der Impfungen mit dem Astra-Zeneca-Impfstoff wegen auffälliger Thrombose-Fälle dürfte manchem so flau im Magen sein wie nach einer steilen Abfahrt gen Boden.
Die Botschaften müssen immer wieder angepasst werden
In der E-Mail teilte das Bundesgesundheitsministerium mit, dass der Einsatz von Astra-Zeneca gestoppt werden müsse, die Ärzte sollten schnell informiert werden. Leonhard saß in einer Besprechung, die wurde abgebrochen, man traf sich im Büro der Senatorin. Es war klar, dass auch Hamburg nicht weiterimpfen kann. Das Impfzentrum wurde sofort angerufen, spätestens bei den Terminen nach 16 Uhr wurde kein Astra-Zeneca mehr verimpft. Es wurden andere Impfstoffe bereitgestellt, heißt es. Auch war schnell klar, dass es mit den Impfungen in den Arztpraxen schon nach dem ersten Tag erst einmal nicht weitergehen kann. Und innerhalb von wenigen Stunden musste wieder neu geplant werden.
Eine Folge der vielen Unsicherheiten bei der Impfkampagne ist, dass auch die Botschaften an die Bürger immer wieder angepasst werden müssen. Manchmal innerhalb von nur wenigen Stunden. Auch das kann für Unmut sorgen. Das liegt schon daran, dass nicht immer klar ist, ob so viel Impfstoff kommt wie angekündigt. Manchmal, heißt es, wisse man erst, was man habe, wenn man die Pakete öffne.
Schon am Wochenende hatte die Gesundheitsbehörde die geplante Terminvergabe für Jüngere absagen müssen – gemeint waren damit 78 und 79 Jahre alte Hamburger, die in diesen Tagen hätten Post bekommen sollen. Dann aber kündigte Astra-Zeneca am Freitag an, noch weniger Impfstoff als zugesagt liefern zu können.
In gewisser Weise hat man diese Unsicherheiten eingepreist, auch bei den Botschaften. Die Aussetzung der Impfungen verschärfte das Problem am Montag aber. Um 17.18 Uhr schickte die Behörde die Nachricht an die Öffentlichkeit, dass von Dienstag an alle Termine mit dem Astra-Zeneca-Impfstoff ausgesetzt werden müssen. Personen mit einem bestätigten Termin sollten erst gar nicht am Impfzentrum erscheinen, man werde sich mit ihnen direkt in Verbindung setzen. Es blieb die Unsicherheit: Was passiert mit den Terminen? Zuletzt hatten sich viele Lehrer und Erzieher angemeldet.
Der Planungsstab der Senatorin saß da gerade zusammen und rechnete. Wie viele Impfdosen sind da, wie viele angekündigt? Wie viele Termine wurden bis Ende März zugesagt? Die Länder müssen ihre eigenen Rechnungen aufstellen: In Kiel hat man zunächst bis Freitag alle Termine mit Astra-Zeneca ohne Ersatz gestrichen, ähnlich in Schwerin. In Hamburg hatte man bis Ende März noch 20.556 Impfungen mit dem Astra-Zeneca-Impfstoff vereinbart und 29.000 mit dem von Biontech.
„Es ist richtig, dem Rat von Experten zu folgen“
Nach Stunden wird klar, dass die zugesagten Termine im Impfzentrum wohl doch eingehalten werden können – wenn man allen gibt, was von Biontech da ist, und die zweite Impfung so weit wie möglich zurückstellt. Doch da habe sich die Meldung von 17.18 Uhr schon über die Abendnachrichten in den lokalen Medien verbreitet, heißt es. Und in der Behörde trafen erste Nachrichten ein von Menschen, die sich anboten, trotzdem Astra-Zeneca gespritzt zu bekommen. Manche Frauen fügten Auszüge zu Nebenwirkungen ihrer Anti-Baby-Pillen bei, in denen Thrombose-Risiken beschrieben werden.
Trotz der Achterbahnfahrt sagt Senatorin Leonhard am Dienstag, nach der Empfehlung des Paul-Ehrlich-Instituts „hätte es keine andere Option gegeben“ als die Aussetzung. Offenen Fragen zu Nebenwirkungen müsse nachgegangen werden. Wenn es die Einschätzung von unabhängigen Wissenschaftlern gebe, sei das die wichtigste Maßnahme „auch für das Vertrauen in den Impfstoff“. Das Bundesgesundheitsministerium habe „eine fachliche Entscheidung getroffen, keine politische“.
„Der Rückschlag für die Impfkampagne ist ärgerlich und das Letzte, was wir hätten gebrauchen können“, sagt Leonhard. „Aber es ist richtig, dem Rat von Experten zu folgen und die Sicherheit des Impfstoffs an erste Stelle zu rücken.“ In Hamburg werden keine weiteren Termine mehr vereinbart, die mobilen Impfteams, die zum Beispiel in Behindertenheime sollten, können nicht weitermachen. „Ich sehe keine Möglichkeit, den Rückschlag vor Mitte April wieder aufzuholen“, sagt Leonhard. Zumindest das Projekt mit den Arztpraxen soll aber wiederaufgenommen werden. Mit Impfstoff von Moderna.
Artikel von & Weiterlesen ( Wie in der Achterbahn - FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung )https://ift.tt/3tqzzWm
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