
SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz
Foto: Janine Schmitz / photothek / imago imagesNee, ein Trainingslager habe der Kandidat nicht gebraucht, sagt Lars Klingbeil und grinst. »Olaf Scholz hat zuletzt viele digitale Parteitage besucht. Er kennt das.« Aber natürlich sei es eine komische Situation, gibt der SPD-Generalsekretär zu, so ganz ohne Publikum, ohne Applaus. Scholz habe sich viel Zeit genommen, um seinen Auftritt vorzubereiten.
Wenn der Kanzlerkandidat der Sozialdemokraten am frühen Sonntagnachmittag die zentrale Rede des Tages hält, wird er lediglich in einige Kameras blicken – und einen fast leeren Saal. Nur wenige Genossinnen und Mitarbeiter dürfen Scholz im Berliner CityCube beobachten, beim ersten digitalen Bundesparteitag der ältesten Partei Deutschlands. Das bedeutet: Die 600 Delegierten sowie alle Gäste und Journalisten sind digital zugeschaltet, nicht einmal alle Mitglieder des Parteipräsidiums sind vor Ort dabei.
Die besonderen Bedingungen in der Pandemie sind aber nur eine weitere Herausforderung für Scholz und Wahlkampfchef Klingbeil. Schwerer wiegt die Krise der Partei. Seit Ewigkeiten liegt die SPD in den Umfragen bei 14 bis 16, vielleicht mal 17 Prozent. Von der aktuellen Schwäche der Union profitieren vor allem die Grünen, die Sozialdemokraten liegen abgeschlagen auf Platz drei, eingemauert im Demoskopen-Keller.
Entsprechend groß ist die Nervosität in der Partei. Und der Frust. »Es tut mir körperlich weh«, sagt Claudia Moll, SPD-Bundestagsabgeordnete aus der Region Aachen, wenn man sie auf die Umfragen anspricht. Sie verstehe nicht, warum ihre Partei nicht von der Arbeit in der Regierung profitiert: »Unsere Minister sind doch die einzigen, die arbeiten!«
Tatsächlich mühen sich Scholz und die anderen sozialdemokratischen Regierungsmitglieder nach Kräften. Sie treiben die Union beim Klimaschutz, bei der Pflegereform, bei der Pandemiebekämpfung. Doch es bleibt auch im Wahljahr dabei: Es zahlt sich nicht aus.
Die Partei sehnt sich nach einem Lebenszeichen, nach einer zündenden Idee, ja: einem Aufbruch. Der Parteitag sei ein zentraler Moment der Kampagne, sagt Klingbeil. Er verspricht sich von dem virtuellen Treffen einen »Startschuss für die Aufholjagd«.
Aber wie soll das gehen? Scholz ist nicht gerade bekannt als einer, der die eigenen Leute mitreißt. Bei Parteitagen der Vergangenheit bekam er meist schlechte Ergebnisse, 2019 verlor er mit Klara Geywitz das Mitgliedervotum um den Parteivorsitz. Auch seine überraschend frühe Ausrufung zum Kanzlerkandidaten im vergangenen Jahr hat keinen Schwung gebracht. Und jetzt soll eben dieser Scholz mit einer Rede die Stimmung drehen?
Klingbeil zeigt sich trotz der miesen Umfragewerte überzeugt, dass für Scholz noch was geht Richtung Kanzleramt. »Das Schattenboxen ist vorbei«, sagt er. Er sei überzeugt, dass viele Konservative in Deutschland vom Kandidaten der Union, Armin Laschet (CDU), nicht überzeugt seien und viele Menschen in Deutschland keine grüne Kanzlerin wollten. »Die Grünen sind im Moment so etwas wie ein politischer Scheinriese«, so Klingbeil. Je näher man herankomme, umso unkonkreter werde die Partei.
Hoffnung ziehen die Spitzengenossen zudem daraus, dass die Partei zumindest inhaltlich geschlossener dasteht als in der Vergangenheit. Am Wahlprogramm, das beim Parteitag verabschiedet wird, wurde die Basis in einem zehn Monate langen Prozess beteiligt, vom linken Flügel bis zum konservativen Seeheimer Kreis herrscht weitgehend Zufriedenheit mit der programmatischen Ausrichtung (Lesen Sie hier eine Analyse des Wahlprogramms).
Ein mögliches Wahlkampfthema könnten die steigenden Mieten vor allem in Großstädten sein – nachdem das Bundesverfassungsgericht den Berliner Mietendeckel gekippt hat. Parteivize Kevin Kühnert sagte »Zeit Online«, seine Partei wolle einen bundesweiten Mietenstopp in angespannten Wohnlagen. Dieser würde für fünf Jahre gelten, mit Inflationsausgleich. Die Grünen dagegen wollten nur eine Öffnungsklausel für die Länder, so Kühnert: »Für die Menschen in unionsregierten Bundesländern wie NRW wäre das keine gute Nachricht, weil die Union auf Teufel komm raus keine weitere Mietenregulierung will.«
Unklar bleibt aber, wie die SPD nun eigentlich in die Offensive kommen will. Man brauche jetzt unbedingt Zuspitzung, heißt es in der Partei, und am besten auch ein Überraschungsmoment. Die Union sei der Hauptgegner, die Grünen aber der Hauptwettbewerber.
Es bringe nichts, ständig die Arbeit der SPD-Minister im Kampf gegen die Pandemie zu betonen. Vielmehr müsse Scholz ein Bild davon vermitteln, wie die SPD sich die Zeit danach vorstelle. Dabei komme es auch darauf an, die Widersprüche der Grünen zu betonen, etwa die Diskrepanz zwischen klima- oder verkehrspolitischen Forderungen auf Bundesebene und der Regierungsrealität in Baden-Württemberg oder Hessen.
Die Hoffnung der Sozialdemokraten: Annalena Baerbock dürfte in den kommenden Wochen stärker unter der Fragestellung beobachtet werden, ob sie das Land führen könnte. Scholz müsse aber aufpassen, ihr gegenüber nicht überheblich aufzutreten, heißt es. Stattdessen soll er mit seiner Erfahrung und Regierungskompetenz deutlich machen, dass er der bessere Kanzler wäre.
Und dann sind da noch die Aufholjagden in den Ländern, die Malu Dreyer, Dietmar Woidke und Peter Tschentscher bei den Wahlen der vergangenen zwei Jahre geschafft haben. Auch in Rheinland-Pfalz, Brandenburg und Hamburg lagen die Genossen im Wahlkampf lange zurück oder gleichauf mit dem politischen Gegner und behaupteten dann doch ihren Führungsanspruch. Allerdings aus der Position des Regierungschefs heraus.
Lässt sich diese Situation also überhaupt auf die Bundestagswahl übertragen? Damit die Sozialdemokraten daran zumindest selbst wieder glauben, muss beim Parteitag wohl ein kleines Wunder passieren.
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