Stand: 16.09.2021 06:00 Uhr
Sechs Jahre nach dem Auffliegen des VW-Abgasskandals beginnt in Braunschweig der Strafprozess gegen vier Führungskräfte. Ex-VW-Chef Winterkorn ist zunächst nicht dabei.
Es geht um Betrug - Gewerbs- und bandenmäßigen Betrug. Das ist zumindest der Hauptvorwurf im Braunschweiger Volkswagen-Prozess. Dahinter steht die bekannte Geschichte des VW-Abgasskandals: Die Käufer wussten nichts von der Software, die der Wolfsburger Konzern jahrelang in seinen Diesel-Autos verbaute. Eine Software, die auf dem Prüfstand vorspiegelte, die Autos seien sauber. Auf der Straße stießen sie dann den 35-fachen Wert Stickstoffdioxid aus.
Dadurch hätten unter anderem die Angeklagten die Menschen getäuscht, so die Argumentation der Staatsanwaltschaft. Diese Täuschung habe dazu geführt, dass die Autos gekauft wurden. Dadurch hätten die Käufer einen Schaden erlitten. Auf mehrere 100 Millionen Euro soll sich dieser Schaden insgesamt beziffern. Neun Millionen Fahrzeuge sollen im Rahmen des Betrugs verkauft worden sein - in Europa und den USA.
Vier VW-Führungskräfte vor Gericht
Auf der Anklagebank sitzen vier zum Teil ehemalige Mitarbeiter aus der Managerebene des Autobauers. Alle sollen in Abteilungen gearbeitet haben, die für die Entwicklung der illegalen Abschalteinrichtung relevant waren. Jens H. zum Beispiel. Als Chef der Motorenentwicklung soll er schon 2007 Mitarbeiter angewiesen haben, die Motoren weiterzuentwickeln, obwohl ihm klar gewesen sei, dass dies nur mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung möglich war.
Heinz-Jakob N., der frühere Chef der Aggregate-Entwicklung und spätere Entwicklungsvorstand der Marke VW, soll von der Abschaltsoftware zumindest ab 2013 gewusst und sie vertuscht haben. Hanno J., Leiter der Hauptabteilung Antriebselektronik, und Thorsten D., Leiter der Abteilung Arbeitsverfahren und Abgasnachbehandlung, sollen ebenfalls beteiligt gewesen sein. Thorsten D. soll am 27. Juli 2015 auch die damalige Konzernspitze informiert haben.
Strafverfahren gegen Winterkorn abgetrennt
Eigentlich sollte auch der frühere VW-Chef Martin Winterkorn mit auf der Anklagebank sitzen. Ihm wirft die Staatsanwaltschaft vor, ab Mai 2014 Kenntnis von den Manipulationen gehabt zu haben. Weil er dann weder die zuständigen Behörden informierte, noch den Verkauf der Fahrzeuge stoppte, habe er sich ebenfalls strafbar gemacht. Außerdem habe er im Untersuchungsausschuss des Bundestags falsch ausgesagt.
Weil Winterkorn aber derzeit verhandlungsunfähig ist, hat das Landgericht sein Verfahren abgetrennt. Mit dieser Entscheidung hatte es sich das Gericht nicht leicht gemacht, schließlich ist Winterkorn der prominenteste unter den Angeklagten. Ein extra in Auftrag gegebenes medizinisches Gutachten aber bestätigte: Die Hüftoperation von Winterkorn könne man nicht verschieben, wann er wieder verhandlungsfähig sein wird, ist derzeit unklar.
Prozess war schon zweimal verschoben worden
Deshalb hat sich das Gericht dagegen entschieden, den Prozess insgesamt zu verschieben und dann mit allen fünf Angeklagten gleichzeitig zu beginnen. Schon zweimal war der Prozess aufgrund der Corona-Pandemie vertagt worden. Wann genau der gesonderte Prozess gegen Winterkorn dann beginnt, ist noch offen. Das Gericht will wohl erst einmal in dem Prozess gegen die vier Angeklagten zu einem Urteil kommen. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig hat allerdings Beschwerde gegen die Abtrennung des Winterkorn-Verfahrens beim Oberlandesgericht Braunschweig eingelegt. Noch hat das OLG dazu nicht entschieden.
Weitere Straftaten stehen im Raum
Neben dem Betrug sieht die Anklage weitere Straftatbestände erfüllt: unter anderem die Steuerhinterziehung in einem besonders schweren Fall und strafbare Werbung beziehungsweise Beihilfe zu diesen Delikten. Steuerhinterziehung deshalb, weil einige Fahrzeuge zu Unrecht eine Befreiung von der Kraftfahrzeugsteuer erhalten hatten. Strafbare Werbung, weil VW mit den tatsächlich nicht vorhandenen geringen Emissionen geworben hatte.
Langer Prozess erwartet
Verhandelt wird vor der sechsten großen Strafkammer des Landgerichts Braunschweig - allerdings nicht im gewöhnlichen Gerichtsgebäude. Wegen des erwarteten großen Interesses hat man wieder einmal die Stadthalle Braunschweig angemietet. Dort startet nun der Mammutprozess, der wohl mindestens bis ins Jahr 2023 hinein dauern dürfte. 300 Aktenbände mit rund 75.000 Seiten hatte schon die Staatsanwaltschaft dem Gericht mit der Anklage überreicht. Seitdem wurden weitere Ermittlungen getätigt.
Am Ende des Prozesses, so zumindest die Hoffnung von vielen, könnte ein bisschen mehr Klarheit herrschen - in einem der größten Industrieskandale der deutschen Geschichte.
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