In Niedersachsen hängt derzeit eine besonders bunte Vielfalt von Wahlplakaten. Denn vor der Bundestagswahl am 26. September werden dort am 12. September auch die Parlamente auf kommunaler Ebene neu gewählt, also Kreisräte, Stadträte, Gemeinderäte, Stadtbezirksräte. Zudem finden die Direktwahlen vieler Oberbürgermeister statt, und auch die Mehrzahl der Landräte wird gewählt. Sollten dafür Stichwahlen erforderlich werden, finden diese zwei Wochen später zusammen mit der Bundestagswahl statt.
Angesichts des politischen Trends auf Bundesebene macht sich die niedersächsische SPD von Ministerpräsident Stephan Weil derzeit sogar Hoffnungen, erstmals seit mehr als vierzig Jahren die CDU als stärkste Kraft auf kommunaler Ebene abzulösen. Die Sozialdemokraten müssen in den großen Städten allerdings einen personellen Umbruch meistern: Mit Braunschweig, Göttingen und Wolfsburg gibt es gleich drei Großstädte, in denen die bisherigen SPD-Amtsinhaber nicht mehr zur Wahl antreten. Gleiches gilt für die Städte Delmenhorst und Lüneburg.
Das Umland ist konservativer geprägt
Die Sozialdemokraten betreiben auch großen Aufwand, das einflussreiche Amt des Präsidenten der Region Hannover zu verteidigen. Die erst 2001 neugebildete Einheit umfasst Landkreis und Stadt Hannover und zählt mehr als 1,1 Millionen Einwohner. Amtsinhaber Hauke Jagau führte die Region seit dem Jahr 2006.
Für die Nachfolge bietet die SPD Steffen Krach auf, bisher Staatssekretär für Wissenschaft im Berliner Senat. Dem gebürtigen Hannoveraner werden, auch aufgrund eines gelungenen Wahlkampfs, gute Chancen eingeräumt. In der vermutlich erforderlichen Stichwahl könnte er auf die CDU-Kandidatin Christine Karasch treffen, bisher Umweltdezernentin der Region Hannover. Da das Umland konservativer geprägt ist als die Stadt, ist die CDU auf Ebene der Region weiterhin strukturell mehrheitsfähig.
Die Landeshauptstadt selbst wird seit 2019 von einem grünen Oberbürgermeister regiert. Der Erfolg von Belit Onay im „roten Hannover“ war damals ein Schock für die SPD, die nun zumindest ihre Vormacht im Stadtrat verteidigen will. Die Chancen stehen nicht schlecht, denn die anfängliche Euphorie rund um den grünen OB ist verflogen.
Der verwaltungsunerfahrene Onay lässt es bei der Durchsetzung der versprochenen Verkehrswende an Geschick vermissen, und vor einigen Monaten hat der Stadtrat Onays Kandidatin für das Wirtschaftsdezernat krachend durchfallen lassen. Die Grünen kündigten daraufhin das Ampel-Bündnis mit SPD und FDP auf.
Eine Zusammenarbeit nach der Wahl ist zwar weiterhin möglich. Allerdings müssten die Grünen dafür vermutlich einen hohen Preis zahlen – oder Onay sähe sich bei einem Bündnis ohne grüne Beteiligung weitgehend blockiert.
Einer der engsten Mitarbeiter des Innenministers
In der nächstgrößeren Stadt Braunschweig steht Ulrich Markurth nicht mehr zu Wahl. Die SPD hat den jungen Juristen Thorsten Kornblum aufgestellt, jahrelang einer der engsten Mitarbeiter des niedersächsischen Innenministers Boris Pistorius. Beobachter sehen gute Chancen für Kornblum, der sich in einer Stichwahl vermutlich entweder mit der von den Grünen unterstützten Architekturprofessorin Tatjana Schneider oder dem ebenfalls parteilosen, von CDU und FDP unterstützten Landwirt Kaspar Haller auseinandersetzen müsste.
In Lüneburg geht mit dem Ausscheiden von Oberbürgermeister Ulrich Mägde eine Ära zu Ende. Seit 1991 stand der Sozialdemokrat der Stadt vor, die sich in dieser Zeit zu einer attraktiven Universitätsstadt entwickelt hat. Lüneburg gehört zu den Städten, in denen sich die Grünen gute Chancen ausrechnen. Die Sozialdemokraten gelten aufgrund interner Zwistigkeiten als geschwächt. Die CDU bietet die Lüneburger Landesbeauftragte Monika Scherf auf. Wahrscheinlich kommt es zu einer Stichwahl.
Eine ähnliche Konstellation gibt es in Göttingen: SPD-Amtsinhaber Rolf-Georg Köhler tritt nicht mehr an, und die Grünen verfügen aufgrund der universitären, teils auch alternativen Prägung der Stadt über das Potential, auch hier eine Direktwahl zu gewinnen. Der Ausgang zwischen den Kandidaten von SPD, Grünen und, mit Abstrichen, CDU gilt als offen.
In Oldenburg tritt Amtsinhaber Jürgen Krogmann wieder an und versucht eine lange Serie zu brechen: Seit vierzig Jahren hat dort kein Oberbürgermeister länger als eine Amtszeit regiert. Krogmann scheint aber gute Chancen zu haben. Die Universitätsstadt böte prinzipiell aber auch genug Nährboden für einen grünen Oberbürgermeister.
Osnabrück hat ebenfalls eine junge Universität, bildet durch seine katholische Prägung aber dennoch ein anderes politisches Pflaster. Der bisherigere Oberbürgermeister Wolfgang Griesert, in weniger politikaffinen Kreisen auch als Vater des vormaligen „Bachelors“ bei RTL bekannt, tritt nicht noch einmal an. Die CDU verfügt mit Sozialdezernentin Katharina Pötter über eine gut beleumundete Kandidatin und hofft, das Amt halten zu können.
CDU hat in Salzgitter wohl die besten Chancen
Hoffnungsvolle Blicke der Union richten sich nach Wolfsburg, wo Oberbürgermeister Klaus Dieter Mohrs (SPD) nicht wieder antritt und die CDU mit dem Ersten Stadtrat Dennis Weilmann einen gut vernetzten Bewerber aufgestellt hat. Auch in der Union geht man jedoch von einer Entscheidung erst in einer Stichwahl aus.
Die besten Chancen werden der CDU ausgerechnet in der Arbeiter-und-Migranten-Stadt Salzgitter zugeschrieben. Dort regiert seit 2006 mit Oberbürgermeister Frank Klingebiel einer der profiliertesten Kommunalpolitiker des Landes. In Hildesheim werden dem parteilosen Oberbürgermeister Ingo Meyer gute Chancen auf eine Wiederwahl eingeräumt.
Bei der Direktwahl der Landräte fällt auf, dass sich einige jüngere Landtagsabgeordnete bewerben, die auch Chancen auf weitere Karriereschritte in der Landespolitik gehabt hätten. In Stade tritt der frühere CDU-Generalsekretär Kai Seefried an, im Ammerland der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion Jens Nacke und im Kreis Goslar der ehemalige SPD-Generalsekretär Alexander Saipa, dessen Erfolg als wahrscheinlich gilt.
Der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP Christian Grascha fordert mit Unterstützung der CDU in Northeim Landrätin Astrid Klinkert-Kittel (SPD) heraus und gilt nicht als chancenlos. Der drohende Abgang dieser leistungsfähigen Landespolitiker könnte darauf hindeuten, dass kommunale Spitzenämter zunehmend an Attraktivität gewinnen gegenüber der Landespolitik, die offenbar nicht mehr ausreichende Gestaltungsmöglichkeiten bietet.
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