So deutlich wie bisher kein Präsidiumsmitglied fordert Röttgen den Rückzug von CDU-Chef Laschet – und Mitgliederentscheide über K-Frage und Vorsitz.
CDU-Präsidiumsmitglied Norbert Röttgen fordert nach der Wahlniederlage von Kanzlerkandidat und Parteichef Armin Laschet personelle Konsequenzen und einen Neuanfang.
Dieser Prozess müsse stattfinden, egal ob die Union an der Regierung beteiligt sein wird oder in die Opposition gehe, sagte Röttgen in einem Interview mit dem Tagesspiegel. „Wenn das klar ist, müssen wir auch über eine personelle Neuaufstellung sprechen", machte Röttgen indirekt deutlich, dass aus seiner Sicht Laschet nur noch Parteichef auf Abruf ist.
[Das komplette Interview lesen Sie bei Tagesspiegel Plus: Röttgen rechnet mit Laschet ab: „Es reicht nicht, nur eine Person auszuwechseln“]
Man müsse jetzt ehrlich das aussprechen, was ohnehin jeder wisse: „Die fehlende Akzeptanz des Kandidaten war der Hauptgesprächsgegenstand im Wahlkampf. Das weiß auch Armin Laschet.“
Röttgen betonte mit Blick auf den CDU-Vorsitzenden, es reiche aber jetzt nicht, „nur eine Person auszuwechseln“. Der Erneuerungsprozess müsse umfassend sein: „Partei, Fraktion, Inhalte, Kommunikation, Personal.“ Der frühere Bundesumweltminister und heutige Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses Röttgen hatte sich Anfang des Jahres vergeblich gegen Laschet und Friedrich Merz um den Parteivorsitz beworben.
Er gilt seit langem als ein Kritiker Laschets und hatte CSU-Chef Markus Söder als Kanzlerkandidaten der Union favorisiert.
Röttgen machte deutlich, dass Laschet aus seiner Sicht aber noch die anstehenden Gespräche führen solle: „Zum jetzigen Zeitpunkt geht es darum, dass wir gesprächsbereit und gesprächsfähig sein müssen. Das tun wir in der personellen Ausgangslage, die die Partei gewählt hat.“ Ungeachtet der Versuche von Laschet, an diesem Sonntag mit der FDP und am Dienstag mit den Grünen über die Bildung einer Jamaika-Koalition zu sondieren, sieht Röttgen kaum Chancen hierfür. „Wir haben keinen Regierungsauftrag. Das Prä der Regierungsbildung liegt bei der SPD als stärkster Kraft.“
Laschet habe Bürger mit "Schlagworten" abgespeist
Er forderte – ohne Laschet zu nennen - einen ehrlicheren Umgang mit der Niederlage. „Zur Ehrlichkeit gehören zwei Dinge: Erstens ist die SPD die stärkste Partei und damit die Wahlgewinnerin. Zweitens haben wir nicht nur das historisch schlechteste Ergebnis, sondern laufen mit nur noch 19 Prozent für die CDU Gefahr, unseren Status als Volkspartei zu verlieren“, betonte Röttgen. „Wir haben in fünf Bundesländern nicht ein einziges Direktmandat gewonnen. Wir liegen bei den Erstwählern bei zehn Prozent. Das ist der alarmierende Befund und eine existenzielle Gefahr für uns als Volkspartei.“
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Laschet warf er vor, keine Inhalte im Wahlkampf gehabt zu haben. „Uns muss klar sein, dass wir die Bürgerinnen und Bürger nicht mit Schlagworten abspeisen können, die keine inhaltliche Idee erkennen lassen. Wir müssen weg von der Schlagwortebene, von „Modernisierung“ und „Entfesselung“ und „Ökonomie plus Ökologie“, hin zu einer konkreten Ebene. Denn die Menschen spüren ja ihre Ängste und Erwartungen ebenfalls konkret“, sagte Röttgen.
„Dass wir nicht drei, vier gut durchdachte Schwerpunkte angeboten haben, hat die personelle Schwäche durch eine inhaltliche Schwäche ergänzt, anstatt zu versuchen, das eine mit dem anderen auszugleichen.“
Zudem habe Laschet auf das falsche Team gesetzt. „Das ist ein Teil der Tragödie.“ In seinem Arbeitsgebiet im Auswärtigen Ausschuss arbeiteten hochkompetente CDU-Mitglieder und so sei das in anderen Gebieten auch, betonte Röttgen.
„Grundsätzlich ist es gut, wenn wir Expertise von außen dazu holen, aber im Wahlkampf müssen Politiker der Union für christdemokratische Kernthemen wie innere und äußere Sicherheit stehen - und nicht ein Professor aus London“, sagte er mit Blick auf Laschets Wahl, den Terrorismusexperten Peter Neumann in sein Zukunftsteam zu berufen.
Künftig Mitgliederentscheid über Kanzlerkandidatur
Zudem forderte er künftig einen Mitgliederentscheid über innerhalb der Union umstrittenen Entscheidungen, wie die Kanzlerkandidatur. Das gelte auch bei Kampfkandidaturen um den CDU-Vorsitz. „Wir sollten lernen, dass man wichtige Personalfragen wie eine Kanzlerkandidatur nicht mit einer Gremienmehrheit durchdrücken kann - gegen die Mehrheit der Abgeordneten, der Mitglieder, der Öffentlichkeit."
Zudem kritisierte er zu viel Selbstbeschäftigung, eine inhaltliche Ausgezehrtheit und ein fehlendes Gefühl für die Sorgen der Menschen. "In der Mitte, bei Menschen mit ordentlichen Einkommen, schlägt der Staat voll zu mit Steuern, Abgaben und Bürokratie, hinzukommen hohe Mieten und Grundstückspreise in den Städten", sagte Röttgen.
„Hier, bei den Leistungsträgern unserer Gesellschaft, entstehen Sorgen, Ärger und auch Ängste. Sie stehen morgens im Stau, können kaum Wohneigentum bilden, brauchen Kinderbetreuung und haben kein Verständnis für den Qualitätsmangel an öffentlichen Schulen. Das ist die große gesellschaftliche Gefahrenzone.“
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