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Stephan Weil: „Risiko, sich noch während der Rückreise zu infizieren“ - WELT

WELT: Herr Weil, wie enttäuscht sind Sie über das Ausscheiden der deutschen Mannschaft?

Stephan Weil: Am Dienstagabend jedenfalls sehr. Ich weiß, dass das zu meinen Schwächen gehört, dass ich solche Turniere noch immer ziemlich ernst nehme. Aber am Ende ist es im Fußball eben wie in der Politik: Ohne den wirklichen Willen zum Erfolg wird es nichts. Das war einfach ein grottenschlechtes Spiel.

WELT: Finden Sie es richtig, dass ausgerechnet an einem aktuellen Corona-Hotspot wie London 45.000 Zuschauer dabei sein dürfen? Die meisten von ihnen ohne Maske und ohne Abstand. In Budapest ist das Stadion sogar jedes Mal ausverkauft.

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Weil: Nein. Ich finde es unverantwortlich, wie sich die Uefa verhält, dass sie so etwas zulässt. Es ist ihr Turnier, und sie kann sich meines Erachtens nicht damit herausreden, dass sie lediglich die Regeln des jeweiligen Gastlandes anwendet.

Man muss die Augen schon sehr fest zudrücken, um nicht zu erkennen, dass es sich bei der Delta-Variante um ein höchst ansteckendes Virus handelt. Wenn dann Fans aus unterschiedlichen Ländern in vollbesetzten Stadien zusammenkommen, dann schafft man ideale Voraussetzungen für weitere Ausbruchssituationen.

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WELT: Und die Politik lässt die Fußballfunktionäre einfach gewähren?

Weil: Sowohl die ungarische als auch die britische Regierung haben sicher die Erlaubnis für die Stadionauslastung und die weiteren Umstände der Austragung der Spiele erteilt. Das ist für mich komplett unverständlich, entbindet aber die Uefa nicht von ihrer Verantwortung als Veranstalterin dieser EM.

WELT: Sie weisen mit dem Finger auf andere. Kann die deutsche Politik da gar nichts machen?

Weil: Das glaube ich nicht. Ich erwarte allerdings vom Deutschen Fußballbund, dass er diese Probleme sehr klar in den Gremien der Uefa zur Sprache bringt. Der DFB hat dort eine starke Stellung. Was wir in manchen EM-Stadien sehen, steht in deutlichem Widerspruch zu all dem, was wir selbst in unseren Stadien ermöglichen.

Die Regelungen für die EM-Spiele in München etwa halte ich für gut vertretbar. Aber es ist eben auch ein riesiger Unterschied zu den Szenen, die wir in London oder Budapest sehen.

Niedrige Inzidenz macht viele Menschen leichtsinnig

Die sinkenden Inzidenzen und die zunehmenden Lockerungen machen viele Menschen im Umgang mit Corona unvorsichtig. Aber die Delta-Variante droht, sich auch in Deutschland rasant auszubreiten. RKI-Chef Wieler applelliert, sich weiter an die Hygienevorschriften zu halten.

Quelle: WELT

WELT: Wie wird es in Deutschland weitergehen? Werden Bundesliga und Zweite Bundesliga in der kommenden Saison wieder vor Publikum spielen können, oder bleibt es erst einmal bei „Geisterspielen“?

Weil: Die Deutsche Fußball Liga (DFL) hat sich im Verlauf der Pandemie ausgesprochen konstruktiv verhalten. Wir werden den Zutritt zu den Stadien absehbar auch in der kommenden Saison immer so regeln müssen, dass die Auslastung der jeweiligen Infektionslage gerecht wird.

Derzeit sind die Inzidenzwerte sehr niedrig, und wir können auch davon ausgehen, dass die Impfquote in den kommenden Wochen weiter steigt – die Ausrichtung von Fußballspielen, aber auch von kulturellen Großveranstaltungen vor Publikum sollte also wieder möglich sein. Die Chefs der Staatskanzleien arbeiten derzeit an bundesweit geltenden Leitlinien, mit denen wir die Stadienauslastung im Wesentlichen einheitlich regeln wollen.

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WELT: Im Wesentlichen heißt, dass es dennoch sein kann, dass in dem einen Stadion eine höhere Auslastung möglich ist als in dem anderen?

Weil: Man muss stets auch die jeweilige Situation vor Ort berücksichtigen. Es macht zum Beispiel einen großen Unterschied, ob man es mit einem Stadion zu tun hat, das vor allem mit dem eigenen Pkw angefahren wird. Oder ob es um ein Stadion geht, das die Zuschauer vornehmlich mit dem öffentlichen Nahverkehr erreichen.

WELT: Mit welchen Zuschauerzahlen rechnen Sie zu Saisonbeginn?

Weil: Das hängt von der Kapazität des jeweiligen Stadions ab. Es geht da eher um Prozentzahlen; ob wir mit 20, 25 oder 30 Prozent starten werden, steht noch nicht fest. Mehr werden es voraussichtlich nicht sein. Es wird wieder Hygienekonzepte geben müssen, die unter anderem die An- und Abreise regeln. Auch Masken werden ein Thema sein.

WELT: Wird es gesonderte Regeln für Geimpfte geben?

Weil: Auch darüber beraten die Chefs der Staatskanzleien derzeit noch. Ich wäre jedenfalls dagegen, nur Geimpften und Genesenen den Zutritt zu den Stadien zu erlauben. Aktuell negativ Getestete sollten gleichgestellt werden.

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WELT: Die Chefs der Staatskanzleien haben am Montag auch über eine mögliche Verschärfung der Corona-Regeln für Reiserückkehrer beraten. Ein Ergebnis hat es nicht gegeben.

Weil: An dieses Thema müssen wir noch mal ran. Ansonsten werden wir auch in diesem Sommer erleben, dass Hunderttausende Menschen aus dem Urlaub nach Deutschland zurückkehren, von denen wir nicht wissen, wo sie waren und mit wem sie Kontakt hatten.

Dabei wissen wir aus dem vergangenen Jahr, dass das Virus auf diesem Weg ins Land gebracht worden ist. Das ging mit den Skiferien insbesondere in Ischgl los und hat sich dann im Sommer wiederholt. Jetzt haben wir mit den Testungen ein wirksames Instrument, um solche Einträge deutlich zu reduzieren. Und ich verstehe nicht, warum wir die Tests nicht so nutzen wollen, dass es auch tatsächlich Sinn macht. Das ist ein offenkundiger Fehler.

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WELT: Warum sind die von Ihnen, auch von anderen SPD-Ministerpräsidenten, geforderten doppelten verpflichtenden Testungen vor und nach der Rückkehr gescheitert?

Weil: Da müssten Sie den Bundesinnenminister fragen, der sich gegen eine zweite Testverpflichtung wehrt und immer noch kein Konzept für Sicherungsmaßnahmen an den Grenzen hat. Ich halte das für falsch. Es verlangt ja niemand durchgängige Grenzkontrollen.

Aber das Vorhandensein von negativen Testergebnissen zumindest stichprobenartig zu kontrollieren, ist nun wirklich nicht zu viel verlangt. Wir haben inzwischen überall in Europa die Möglichkeit, diese Tests unaufwändig durchzuführen und von Dritten bestätigen zu lassen. Das gibt auch keinen 100-prozentigen Schutz, aber zumindest eine gewisse Sicherheit.

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WELT: Ihr Hamburger Kollege Peter Tschentscher hat sich auch für eine fünftägige Quarantäne-Pflicht für Menschen, die aus Risikogebieten nach Deutschland kommen, ausgesprochen.

Weil: Wichtig ist, dass vor und einige Tage nach Rückkehr aus solchen Gebieten getestet wird. Es besteht nun einmal das Risiko, sich noch während der Rückreise zu infizieren. Auf dieser Basis sollten wir jetzt erst einmal Erfahrungen sammeln, bevor wir den nächsten Schritt gehen. Es ist ja offensichtlich schwierig genug, allein die Tests durchzusetzen.

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WELT: Haben Sie den Eindruck, dass die Menschen der Politik, auch den Entscheidungsträgern in anderen Bereichen, skeptischer gegenüberstehen als vor der Pandemie?

Weil: Es gab eine Phase am Ende des zweiten Lockdowns, so um Ostern, da waren viele Leute am Ende ihrer Kräfte und haben die Politik dafür in die Verantwortung genommen. In dieser Phase gab es eine sehr kritische Resonanz, teils zu Recht, teils aus meiner Sicht zu Unrecht. Inzwischen ist die Stimmung wieder deutlich besser. Viele Menschen registrieren, dass alles in allem gesehen Deutschland bisher relativ glimpflich durch die Pandemie gekommen ist.

Die Corona-bedingten Todesfälle sind natürlich trotzdem tragisch, auch die vielen Spätfolgen der Erkrankung. Aber es ist beispielsweise die befürchtete große Pleitewelle bisher ausgeblieben, und es gibt erste vorsichtige Signale aus der Wirtschaft, dass das womöglich auch so bleibt.

WELT: Welche Auswirkungen wird die Pandemie, werden die Folgen der Pandemie auf den Ausgang der Bundestagswahl im Herbst haben?

Weil: Die Pandemie steckt uns allen noch derart in den Knochen, dass sie bewusst oder unbewusst das Hauptthema bei der Bundestagswahl sein wird. Gerade auch bei der Frage, wer das Land künftig führen soll.

Es ist gerade in Krisenzeiten, aber auch im Hinblick auf die großen Veränderungen in den Bereichen Umweltschutz und Digitalisierung wichtig, dass an der Spitze eines Staates Menschen stehen, die in der Lage sind, ihrer großen Verantwortung gerecht zu werden. Und da ist meine Partei mit Olaf Scholz sehr gut aufgestellt.

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WELT: Freuen Sie sich eigentlich darüber, dass die Grünen mit Ihrer Spitzenkandidatin Annalena Baerbock immer wieder so sehr ins Schwimmen kommen?

Weil: Nein, zur Schadenfreude neige ich sowieso nicht. Aber Kandidatinnen und Kandidaten für das Kanzleramt werden nun einmal ununterbrochen vermessen.

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Ein österreichischer Plagiatsgutachter wirft der Kanzlerkandidatin der Grünen vor, in ihrem Buch „Jetzt. Wie wir unser Land erneuern“ mehrere Passagen zum Teil wörtlich übernommen zu haben. Baerbock soll das getan haben, ohne die Originalquellen zu nennen.

Quelle: WELT

WELT: Aber es zeigt sich schon, dass es schwierig sein kann, eine Kanzlerkandidatin oder einen Kanzlerkandidaten aufzustellen, der oder die ohne jede Führungserfahrung ins Rennen geht, richtig?

Weil: Sagen wir es mal so: Die SPD hat sehr bewusst einen sehr erfahrenen und sehr verlässlichen Kanzlerkandidaten ins Rennen geschickt. In Zeiten wie diesen halte ich das bei diesem Amt auch für besonders wichtig.

WELT: Wer wird Europameister?

Weil: Schwer zu sagen. Die Italiener sind bisher sehr überzeugend aufgetreten. Aber man hat ja gesehen, wie schnell auch vermeintliche Turnierfavoriten ausscheiden.

„Machtwechsel“ ist der WELT-Podcast zur Bundestagswahl – mit Dagmar Rosenfeld und Robin Alexander. Jeden Mittwoch. Abonnieren unter anderem bei Apple Podcasts, Spotify, Amazon Music, Deezer oder per RSS-Feed.

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