Merkel-Minister im BILD-Interview | „Geimpfte werden mehr Freiheiten haben als Ungeimpfte“
Kanzleramtsminister Helge Braun (48) will bei hohen Inzidenzen nur noch Geimpfte in Restaurants, Kinos oder Stadien lassen
Kanzleramtsminister Helge Braun (48) ist Politiker und Mediziner. Im Kampf gegen Corona greift er zum Taschenrechner: „Eine Pandemie ist Mathematik“, sagt er und rechnet bis zur Bundestagswahl am 26. September Inzidenzzahlen von 850 aus. Braun ist Angela Merkels Krisenmanager – egal ob es um Corona oder das Hochwasser geht.
BILD am SONNTAG: Herr Braun, bei der Flut hat die Katastrophenwarnung nicht funktioniert. Wer ist schuld und was muss sich ändern?
HELGE BRAUN: „Die Kette der Zuständigen ist so lang, dass man die Schuldfrage kaum beantworten kann. Wir brauchen weniger Zuständige und kürzere Meldewege. Und wir müssen klären, wie oft und mit welcher Intensität gewarnt wird. Einige Apps melden jedes Gewitter – mit der Folge, dass die Menschen abstumpfen und eine große Gefahr gar nicht mehr ernst nehmen.“
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Was braucht es konkret?
Braun: „Ich bin für eine klare Hierarchie von drei Warnstufen. Apps können vor allgemeinen Gefahren warnen und viele Informationen transportieren. Bei dringenden Notlagen oder Evakuierungen kann das Cell Broadcasting, das wir als Regierung einführen wollen, alle Handys in einer bestimmten Funkzelle mit einer Nachricht erreichen. Und schließlich der Sirenenalarm, der klarmacht, es besteht unmittelbarer Handlungsbedarf. Dafür sollten wir in ganz Deutschland wieder Sirenen in Betrieb nehmen.“
Die Corona-Zahlen steigen wieder an …
Braun: „Die Zahl der Neuinfektionen steigt noch schneller als in den vorherigen Wellen. Das macht mir große Sorge.“
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Bundesgesundheitsminister Jens Spahn spricht schon von 800er-Inzidenzen. Ein Horrorszenario?
Braun: „Leider nicht unrealistisch. Wir haben derzeit eine Steigerung der Zahlen von 60 Prozent pro Woche. (Er ruft den Taschenrechner auf seinem Handy auf.) Wenn sich Delta weiter so schnell verbreiten würde und wir keine enorm hohe Impfquote oder Verhaltensänderung dagegensetzen würden, hätten wir in nur neun Wochen eine Inzidenz von 850. Das entspräche 100.000 Neuinfektionen jeden Tag!“
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Wirtschaftsminister Altmaier hat einen erneuten Lockdown bei steigenden Infektionszahlen ausgeschlossen. Sie auch?
Braun: „Solange unsere Impfstoffe gegen die Delta-Variante so gut helfen, ist ein klassischer Lockdown nicht mehr nötig, denn die Geimpften und Genesenen spielen für das Infektionsgeschehen keine wesentliche Rolle mehr. Aber: Wenn wir eine so hohe vierte Welle bekämen, würde das nicht ohne Auswirkungen bleiben. Die Krankenstände würden historische Höchststände erreichen. Alle ungeimpften Kontaktpersonen der vielen Infizierten müssten zunächst in Quarantäne. Die Auswirkungen auf die Arbeitsprozesse in den Betrieben wären massiv. Das sehen wir bereits in Großbritannien. Abstandsregel und Maskenpflicht brauchen wir deshalb weiterhin. Und bei Nicht-Geimpften wird es Testpflichten und bei hohen Infektionszahlen weitere Verschärfungen geben müssen.“
Wie sehen diese Verschärfungen aus?
Braun: „Bei hohem Infektionsgeschehen trotz Testkonzepten würden Ungeimpfte ihre Kontakte reduzieren müssen. Das kann auch bedeuten, dass gewisse Angebote wie Restaurant-, Kino- und Stadionbesuche selbst für getestete Ungeimpfte nicht mehr möglich wären, weil das Restrisiko zu hoch ist.“
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Halten Sie das rechtlich für zulässig? Kann der Staat das vorschreiben?
Braun: „Ja! Der Staat hat die Pflicht, die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Dazu gehört ein Gesundheitswesen, das im Winter nicht erneut Krebs- und Gelenkoperationen zurückstellen muss, um Corona-Patienten zu behandeln. Und dazu gehört auch der Schutz derjenigen, die ungeimpft sind. Um das einmal deutlich zu sagen: Hohe Infektionszahlen im Herbst und Winter bekommen wir nicht – wie manche behaupten – durch irgendwelche harmlosen Labornachweise des Virus bei Geimpften, sondern nur durch ein ernst zu nehmendes Infektionsgeschehen in der ungeimpften Bevölkerung, wenn die Impfquote nicht hoch genug ist.“
Was kann man machen, damit sich mehr Deutsche impfen lassen?
Braun: „Es gibt zwei Argumente, die jeder Bürger kennen muss: Impfen schützt mich zu 90 Prozent vor einer schweren Corona-Erkrankung. Und: Geimpfte werden definitiv mehr Freiheiten haben als Ungeimpfte. Darüber hinaus können die Länder und Kommunen mit unkomplizierten Impfangeboten vor Ort es den Bürgern erleichtern, sich impfen zu lassen. Ich kann im Hinblick auf den Krankenstand im Herbst aber auch jedem Chef nur raten, für seine Belegschaft niedrigschwellige Impfangebote zu organisieren und für das Impfen zu werben. Jeder Kollege, der dank der Impfung im Herbst nicht mehrere Wochen an Corona erkrankt oder in Quarantäne muss, wird an seinem Arbeitsplatz dringend gebraucht werden.“
Wie können wir die Kinder schützen?
Braun: „Wenn die Inzidenz wie erwartet steigt, wird es sehr schwer, die Infektionen aus den Schulen herauszuhalten. Daher ist für mich ganz klar: Eltern, Lehrer, Hausmeister und Schulbus-Fahrer müssen sich impfen lassen. Wenn diese Gruppen alle geimpft sind, ist die Gefahr für die Kinder geringer. Und: Die Maskenpflicht im öffentlichen Personennahverkehr und im Schulunterricht muss konsequent aufrechterhalten werden, wo Abstand und Lüftung nicht ausreichen.“
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