Fridays-for-Future-Proteste und die sichtliche Politisierung Jugendlicher hatten die Diskussion zuletzt angeheizt: Soll das Wahlalter auf 16 Jahre abgesenkt werden? Union und AfD sind dagegen. Sollte Deutschland aber künftig von einer Ampel-Koalition regiert werden, könnte Bewegung in die Sache kommen:
„Das Wahlalter für die Wahlen zum Deutschen Bundestag und Europäischen Parlament wollen wir auf 16 Jahre senken“, heißt es im Positionspapier von SPD, Grünen und FDP, das am Freitag veröffentlicht wurde.
Eine entscheidende Hürde: Das Wahlalter 18 ist in Artikel 38 des Grundgesetzes festgeschrieben. Um eine Grundgesetzänderung vorzunehmen, ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat erforderlich. Die Abgeordneten einer Ampel-Koalition kommen zusammen aber auf nur 416 statt der benötigten 490 Sitze im Bundestag. Auch eine Zustimmung der Linkspartei mit 39 Mandaten würde rechnerisch nicht reichen. Solange AfD oder Union also nicht einlenken, sieht es schlecht aus.
Allerdings bröckelt zumindest bei CDU/CSU auf Landesebene die Ablehnung: So steht im grün-schwarzen Koalitionsvertrag in Baden-Württemberg, dass das Alter für das aktive Wahlrecht bei Landtagswahlen auf 16 Jahre gesenkt werden soll. Auf kommunaler Ebene soll hier sogar das passive Wahlrecht auf 16 Jahre gesenkt werden. Heißt: 16- und 17-Jährige könnten in Baden-Württemberg Landtagsabgeordnete wählen und sich auf kommunaler Ebene selbst um ein Amt bewerben.
Wahlrecht ab 16 bei Europawahlen leicht machbar
Hermann Heußner, Professor für öffentliches Recht an der Hochschule Osnabrück, glaubt: Gibt die Union in einem der bevölkerungsreichsten Bundesländer ihren Standpunkt auf, könnte es zusehends schwieriger für sie werden, ihn auf Bundesebene weiter zu verteidigen.
Im Gegensatz zur Bundesebene wäre eine Absenkung des Alters auf 16 Jahre bei Europawahlen für eine Ampel-Koalition leicht zu machen. 2024 steht die nächste Wahl an. Und das Europawahlrecht ließe sich mit einfacher Mehrheit ändern.
Heußner hält es für möglich, dass die neue Regierung dies durchsetzt. Und auch das könnte den Druck Richtung Bundesebene erhöhen: „Man kann nicht begründen, dass die Europawahl für 16- und 17-Jährige geeignet sein soll, die Bundestagswahl aber nicht.“
Auch Wahlforscher Arndt Leininger von der Technischen Universität Chemnitz sieht gute Gründe dafür, das Mindestalter zu senken. „Die erstmalige Wahlberechtigung ist ganz entscheidend dafür, ob jemand in Zukunft ein Gewohnheitswähler werden wird.“
Da 16- und 17-Jährige häufiger als über 18-Jährige bei ihren Eltern lebten, in vielen Fällen auch noch eine Schule besuchten, steige die Wahrscheinlichkeit, dass sie von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen, so Leininger. Denn: „Die Wahl wird in der Schule thematisiert, und am Wahltag nehmen einen die Eltern vielleicht einfach mit ins Wahllokal.“
Gegner des Wählens ab 16 führen hingegen an, dass Jugendliche in dem Alter noch nicht die notwendige geistige Reife haben. Ebenfalls wird häufig auf die Kopplung des Wahlrechts an die Volljährigkeit verwiesen: Das gesamte Rechtssystem und Strafrecht übertrage jungen Menschen erst mit 18 Jahren die volle Verantwortung für ihr Handeln, argumentierte vor den Europawahlen 2019 die CDU.
Dagegen halten könnte man etwa, dass Jugendliche bereits mit 14 religionsmündig sind – hier wird jungen Leuten also ein hoher Reifegrad zugetraut. Befragungen von Politikwissenschaftler Leininger und seinem Kollegen Thorsten Faas legen zudem nahe, dass sich 16- und 17-Jährige in puncto politisches Wissen und Interesse nicht substanziell von 18- bis 24-Jährigen unterscheiden.
Auf kommunaler Ebene ist das Wählen mit 16 in elf Bundesländern schon jetzt möglich und damit die Regel. In Bremen, Hamburg, Brandenburg und Schleswig-Holstein gilt dies auch für Landtagswahlen; und wohl auch bald in Baden-Württemberg. In Mecklenburg-Vorpommern, wo sich die Bildung eines rot-roten Bündnisses abzeichnet, sowie in Berlin, wo die SPD erneut mit Grünen und Linken koalieren will, ist eine Absenkung des Wahlalters auf Landesebene wahrscheinlicher geworden.
In Mecklenburg-Vorpommern könnte unter Rot-Rot zudem wie in Baden-Württemberg das passive Wahlrecht mit 16 auf kommunaler Ebene kommen: Die Sozialdemokraten haben sich klar dafür ausgesprochen.
„Und wenn sich in Baden-Württemberg und in Mecklenburg-Vorpommern die Einführung des passiven Wahlrechts auf Kommunalebene bewährt, wovon ich ausgehe, wird das passive Wahlrecht auch für Landtags-, Europa- und schließlich die Bundestagswahlen kommen“, ist Staatsrechtler Heußner überzeugt.
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