Olaf Scholz fühlt sich schon fast als Kanzler, doch die Kassen sind recht leer und die FDP pocht auf die Schuldenbremse. Helfen soll eine neue Steuer.
Olaf Scholz wird zwar noch nicht von Joe Biden drinnen empfangen, er rüttelt auch nicht am Zaun. Aber so ein Statement mit dem Weißen Haus in seinem Rücken, bringt Bilder ganz nach seinem Geschmack, auch wenn eine Demo und Verkehrslärm die Szenerie stört.
Als er Anfang Juli zuletzt hier war, lag die SPD in Umfragen bei 15 Prozent, das Interesse war überschaubar, jetzt sonnt er sich im stark gestiegenen Interesse, auch internationaler Medien. Er gilt hier als der Mann, der Angela Merkel nach 16 Jahren im Kanzleramt nachfolgen könnte.
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Mitten in den Ampel-Sondierungen ist er nach Washington geflogen, zur Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) und einem Treffen mit den G20-Finanzministern. Ein Pflichttermin für den Noch-Finanzminister, aber auch ein willkommener Auftritt auf dem großen internationalen Parkett unter neuen Vorzeichen. Scholz sagt zu den Ampel-Gesprächen in der Heimat, er sei sich sicher, dass das Vorhaben gelingen könne "und wir vor Weihnachten eine neue Regierung haben“.
Auf die Frage, ob er statt wie seit dem Jahreswechsel 2005/2006 immer Merkel die nächste Neujahrsansprache halten werde, sagt Scholz: "Wenn die Regierung zustande gekommen ist, werden alle ihre Aufgaben wahrnehmen."
Er mag sich schon selbstsicher als der nächste Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland fühlen. Aber in der SPD sehen sie in solchen Lagen bei Scholz auch immer eine Gefahr: Immer wenn es gut für ihn zu laufen scheint, wenn er zu Überheblichkeit neigen kann, kommt es manchmal anders als er denkt.
Als der G20-Gipfel 2017 in Hamburg stattfand, sollte das auch ein wenig seine Show werden, er sollte ihn international bekannter machen.
Der Erste Bürgermeister drückte am Flughafen Donald Trump freudig die Hand, dessen Ehefrau Melania bekam einen Strauß Blumen. Den Hamburgern hatte Scholz einen Gipfel versprochen, von dem sie kaum etwas merken würden, schließlich richte man auch jedes Jahr den Hafengeburtstag aus. Dann gingen die Bilder von brennenden Barrikaden und Straßenschlachten um die Welt, sein Spruch verfolgt Scholz bis heute.
Der 63-Jährige hat im Wahlkampf viel von den Fehlern der Anderen profitiert, und danach von der Kabale in der Union. Er schweigt zu den Ampel-Gesprächen, aber am Freitag wird es zum Schwur kommen. Dann soll ein Papier vorliegen, die Grundlage für die Entscheidung der Gremien von SPD, Grünen und FDP über Koalitionsverhandlungen oder nicht. Daher hält Scholz von Washington einen engen Draht nach Berlin, unter Federführung der Generalsekretäre von SPD, Grünen und FDP wird bis zu seiner Rückkehr an dem Papier gefeilt.
Die Schuldenbremse erzwingt neue Lösungen
Scholz sollte sich nicht zu sicher fühlen, denn die Kassen sind nach der Corona-Krise geleert. Und so reisen mit ihm auch Gedanken, wie sich die gewaltigen Zukunftsinvestitionen und der klimaneutrale Umbau der Industrie stemmen lassen. 2022 darf wegen der Corona-Folgen die Schuldenbremse noch einmal ausgesetzt werden, die bisherige Regierung hat mit rund 100 Milliarden Euro neuen Schulden geplant, das bietet Spielraum, aber die FDP pocht ab 2023 wieder auf das Einhalten der Schuldenbremse.
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Scholz könnte die KfW-Bank noch stärker als Investitionsbank nutzen, mit billigen Krediten für Unternehmen, die in Klimaschutz investieren. So könnte die Schuldenbremse, auf deren Einhaltung die FDP ab 2023 pocht, umgangen werden. Das „Handelsblatt“ berichtet zudem, dass das Großthema „Mehr Wohnraum“ über eine Bundes-Wohnungsbaugesellschaft forciert werden könnte. So hatte Scholz schon in Hamburg den sozialen Wohnungsbau angekurbelt.
Aber es braucht in jedem Fall auch neue Einnahmequellen, wenn die FDP sich gegen allgemeine Steuererhöhungen stellt.
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Scholz sieht die neue Mindeststeuer als "revolutionäre Reform"
Daher soll eine große neue Quelle die globale Mindeststeuer für Konzerne wie Apple oder Amazon werden. Scholz hat jahrelang dafür gekämpft. Allen Unkenrufen zum Trotz könnte die Mindeststeuer tatsächlich ab 2023 greifen. In Washington geht es auch darum, das Projekt endgültig festzuzurren, auch um das daheim in die Finanzplanung der möglichen Ampel-Koalition einzupreisen.
Scholz spricht im Schatten des Weißen Hauses von einer „revolutionären Reform“. Er ist zusammen mit Kanadas erster Finanzministerin Chrystia Freeland gekommen, das Signal ist klar: wenn man international zusammenhält und multilateral für eine Idee kämpft, geht da auch was. „Wir gehen davon aus, dass auch Deutschland sehr profitieren wird von dieser Neuregelung und dass es sich um mehrere Milliarden handelt", sagt Scholz. Und er merkt fröhlich an, das würden "Mehreinnahmen ohne Steuererhöhung."
Deutschland kann auf zusätzliche Einnahmen von etwa fünf bis sechs Milliarden Euro hoffen, berichtet Reuters mit Blick auf eine noch unveröffentlichte Studie des Ifo-Instituts. Setze man die zuletzt vereinbarte Einigung von 136 Staaten zugrunde, gehen die Ifo-Forscher von jährlichen Zusatzeinnahmen von 4,8 bis 5,2 Milliarden Euro aus. In der Annahme, dass durch die Vereinbarung Gewinnverlagerungen in Niedrigsteuergebiete reduziert werden, könnte der positive Effekt für den deutschen Fiskus auf 6,0 bis 6,4 Milliarden Euro anwachsen.
Die Steuer in Höhe von 15 Prozent soll für alle international tätigen Unternehmen mit einem Jahresumsatz von mehr als 750 Millionen Euro gelten – und den Steuerdumping-Wettbewerb zwischen Staaten beenden. Experten zufolge werden weltweit 7000 bis 8000 Firmen betroffen sein, einige Hundert davon aus Deutschland.
Das Interesse für die USA und wie man dort auf Merkels möglichen Nachfolger blickt
Scholz hat für seinen Respekt-Wahlkampf viele Bücher über Donald Trumps Aufstieg und den Abstieg der amerikanischen Mittelschicht gelesen. Schon am Tag nach dem SPD-Wahlsieg gab er internationalen Reportern eine kleine Pressekonferenz auf englisch.
In Washington ist Scholz kein Unbekannter. Aber jenseits der transatlantischen Kreise ist das Wissen über den möglichen nächsten Kanzler noch überschaubar. Wer die „New York Times“ und die „Washington Post“ liest, dem wurde der Sozialdemokrat in den vergangenen Wochen bereits mehrfach vorgestellt. „Was Sie über Olaf Scholz wissen müssen“, titelte die „Washington Post“ Ende September. Der Artikel beginnt mit dem Satz, dass ihm das Unmögliche gelungen sei: die Sozialdemokratie wieder auferstehen zu lassen.
In den meisten Texten wird zudem betont, wie ähnlich er in seiner pragmatischen, unaufgeregten Art der scheidenden Kanzlerin Angela Merkel sei. Zuletzt war Scholz Anfang Juni da, unter anderem sprach er mit US-Finanzministerin Janet Yellen und im Kongress über die globale Mindeststeuer.
Allerdings traf der deutsche Vizekanzler da weder den US-Präsidenten Joe Biden noch Vizepräsidentin Kamala Harris, was er gerne getan hätte, wie es heißt. Aber Wahlkampfzeiten sind Zeiten der Zurückhaltung auf internationaler Ebene. Zudem glaubten damals hauptsächlich nur Scholz und sein Umfeld wie Staatssekretär Wolfgang Schmidt fest daran, dass er tatsächlich das Rennen machen könnte.
Die Biden-Administration hätte gern mehr deutsche Investitionen
Die SPD verbindet seit Jahrzehnten eine Partnerschaft mit den US-Demokraten. Dass er in seiner Partei als pragmatischer Vertreter der Moderaten gilt, verbindet ihn mit Biden. Wohlwollend zur Kenntnis genommen wird, dass er signalisiert hat, zumindest im kommenden Jahr weiter großzügig mit der Schuldenbremse umgehen zu wollen.
Die Amerikaner sehen die deutsche Sparsamkeit kritisch, sie fordern, dass Deutschland mehr ausgibt, mehr investiert – wovon man selbst auch gerne profitieren würde. Wichtig finden die Amerikaner aber vor allem, dass bald eine stabile und handlungsfähige Regierung in Berlin gebildet wird. Denn die Herausforderungen sind groß, da will man nicht zu lange auf einen der wichtigsten Ansprechpartner verzichten.
Ende Oktober könnte Scholz dann auch US-Präsident Joe Biden die Hand schütteln. Kanzlerin Angela Merkel wird mit Scholz zum G20-Gipfel nach Rom reisen. Wenn Scholz’ Plan aufgeht, könnte es auf der ganz großen Bühne eine vorgezogene Staffelübergabe werden.
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