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Deutsche Bahn: „Es wird auf das schlechteste Szenario hinauslaufen“ - WELT

In Corona-Zeiten besteht das Hauptproblem der Deutschen Bahn nicht darin, dass zu wenige Züge fahren oder geplante ausfallen. Oft kritisiert wird vielmehr, dass die DB AG trotz stark gesunkener Fahrgastzahlen den Betrieb weitgehend aufrechterhält und über Weihnachten sogar ausweitet. Über die Lage des Staatskonzerns in der Pandemie spricht der Schienenverkehrsbeauftragte der Bundesregierung, Enak Ferlemann (CDU), im Interview per Videokonferenz.

WELT: Herr Ferlemann, die Deutsche Bahn setzt zusätzliche Züge rund um die Feiertage ein. So können mehr Menschen durchs Land reisen. Ist das sinnvoll in einer Pandemie, in der man Kontakte vermeiden soll?

Enak Ferlemann: Ich würde es umgekehrt sehen: Damit die wenigen Menschen, die trotz Pandemie reisen, Abstand halten können, gibt es ein größeres Platzangebot. Wir haben derzeit eine Auslastung von 20 bis 25 Prozent und gehen nicht von einer wesentlichen Erhöhung über die Feiertage aus. Natürlich werden einige Menschen mehr mit der Bahn fahren. Das wollen wir mit den zusätzlichen Zügen auffangen.

„Wer seinen Zug verpasst, weil ein Termin länger dauert oder der Anschlusszug verspätet war, soll trotzdem mitgenommen werden“
„Wer seinen Zug verpasst, weil ein Termin länger dauert oder der Anschlusszug verspätet war, soll trotzdem mitgenommen werden“
Quelle: BMVI/Hans-Peter König

WELT: In jedem anderen Bereich müssen die Abstände eingehalten werden. Warum gibt es bei der Bahn keine Reservierungspflicht, die garantieren würde, dass der Nebenplatz frei bleibt?

Ferlemann: Die Bahn dient dazu, dass die Krankenschwester morgens zur Arbeit kommen kann. Sie ist systemrelevant, gerade in der Pandemie. Daher ist es sinnvoll, ein System zu haben, in dem man zwar reservieren kann und so weiß, dass in der Regel auf dem Nebenplatz niemand sitzt. Aber zugleich ein System, das offen bleibt: Wer seinen Zug verpasst, weil ein Termin länger dauert oder der Anschlusszug verspätet war, soll trotzdem mitgenommen werden. Im Übrigen tragen alle Fahrgäste Masken.

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WELT: Die wirtschaftlichen Folgen dürften sich durch den zweiten Lockdown noch einmal verschärfen. Wie teuer wird die Krise für die DB?

Ferlemann: Im besten Fall kostet Corona die Deutsche Bahn etwa acht Milliarden Euro, im schlimmsten Fall 13 bis 14 Milliarden Euro. Im Worst-Case-Szenario haben wir auch schon einen zweiten Teil-Lockdown berücksichtigt, weil man davon ausgehen musste, dass es im Winter noch mal zu erheblichen Einschränkungen kommen würde. Inzwischen ist klar: Es wird nicht auf unser bestes Szenario hinauslaufen, sondern auf das schlechteste. Wenn wir auch den ganzen Januar, Februar und März noch massive Einschränkungen haben sollten oder auch im nächsten Herbst noch Maßnahmen nötig sein werden, dann müssen wir prüfen, welche Auswirkungen das hat.

WELT: Wird die Eigenkapitalerhöhung von fünf Milliarden Euro für die DB dann reichen?

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Ferlemann: Die fünf Milliarden Euro Eigenkapitalzuschuss basieren auf dem Worst-Case-Szenario, sodass wir damit richtig liegen müssten. Wenn es im ganzen Jahr 2021 zu Einschränkungen kommen sollte, müssten wir vielleicht noch mal nachlegen. Wichtig ist aber, dass wir nur Kapital für Pandemieschäden nachschießen. Nur dieser Teil wird ersetzt, kein einziger Cent mehr. Es kann also auch sein, dass die Bahn weniger als fünf Milliarden Euro bekommt, wenn sie nicht nachweisen kann, dass die Corona-Krise einen so hohen Schaden verursacht hat. Wirtschaftsprüfer werden sich das sehr genau anschauen.

WELT: Aber die Verschuldungsobergrenze für die DB musste der Bundestag jetzt schon ein zweites Mal anheben: von 30 auf bis zu 35 Milliarden Euro.

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Ferlemann: Das war nötig, weil die Eigenkapitalerhöhung in diesem Jahr noch nicht vollzogen werden kann, weil die Zustimmung der EU-Kommission noch fehlt. Dabei ging es auch um einen Puffer für nächstes Jahr, damit wir die Grenze nicht dauernd weiter verschieben müssen. Allerdings muss die Bahn dann auch investieren: in neue Züge, neue Güterzug-Lokomotiven und neue Hochgeschwindigkeitsstrecken. Da würden wir sogar gern schnell mehr ausgeben, denn in Pandemie-Zeiten kann man besser sanieren und bauen als unter Volllast.

WELT: Wann soll die DB die ganzen Schulden zurückzahlen?

Ferlemann: Die Rückzahlung der neuen Schulden muss nach dem Ende der Corona-Pandemie beginnen. Das wird wohl 2023 der Fall sein.

WELT: Wird die DB für die Rückzahlung die Fahrpreise erhöhen müssen?

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Ferlemann: Die Fahrpreisgestaltung ist ein zentraler Bestandteil der wirtschaftlichen Strategien des Konzerns. Und über diese Strategien hat der Vorstand zu entscheiden. Das ist nicht Sache der Politik.

WELT: Warum wurde die Kapitalerhöhung noch nicht von der EU-Kommission genehmigt?

Ferlemann: Die Bundesregierung hat den Antrag noch gar nicht gestellt. Derzeit läuft ein sogenanntes Vorverfahren. Dabei geht es unter anderem darum, mit welchen Auflagen im Fall einer Genehmigung zu rechnen ist. Die Bundesregierung hätte sich schon einen Abschluss der Verhandlungen vorstellen können, der DB-Vorstand aber nicht.

WELT: Worüber wird denn da so lange verhandelt?

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Ferlemann: Es geht um die Frage: Ist die Pandemie ein einzelnes, überraschend auftretendes Ereignis, vergleichbar mit einem Erdbeben? Wenn das so wäre, sind staatliche Hilfen ohne große Auflagen gestattet. Wenn eine Pandemie aber wie jetzt länger dauert, dann wird sie zu einem Normalzustand. Das ist die Position der EU-Kommission. Das würde aber auch bedeuten, dass sie Auflagen zur Verhinderung von Wettbewerbsverzerrungen erteilen kann. Die Auflagen, die im Raum stehen, sind noch nicht so, wie sich der Bahn-Vorstand das vorstellt.

WELT: Die DB soll sparen, um einen Teil der Verluste zu kompensieren. Muss sie noch mehr sparen?

Ferlemann: Ja, die Bahn muss sparen. Die DB hat deshalb versucht, die Tarifverträge anzupassen. Die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG hat zugestimmt. Mit der sehr starken Lokführergewerkschaft GDL sind die Verhandlungen gescheitert. Die Kapitalerhöhung der Bundesregierung ist aber an Zugeständnisse der Arbeitnehmer geknüpft.

WELT: Gibt es nach dem Ende des GDL-Tarifvertrags im Februar Streiks?

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Ferlemann: Der Staat mischt sich nicht in Verhandlungen zwischen Tarifparteien ein. Aber ich rechne mit einer sehr harten Auseinandersetzung. Denn es geht im Grundsatz darum, ob das System Schiene funktionsfähig bleibt. Jeder muss seinen Teil dazu beitragen. Ich finde es schade, dass die GDL aus dem Bündnis ausgestiegen ist, weil ich die Lokführergewerkschaft eigentlich schätze. Aber in dieser Situation noch Forderungen nach erheblichen Tariferhöhungen zu erheben, halte ich für absolut überzogen.

WELT: Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) setzt sich für eine Neuauflage des Trans Europa Express ein, TEE 2.0. Wer aber will denn mehr als 13 Stunden lang von Paris nach Warschau reisen?

Ferlemann: Es ist doch klar, dass dann nur wenige Reisende von Warschau nach Paris durchfahren. Manche werden in Berlin zusteigen, um nach Köln zu reisen. Andere fahren von dort aus nach Paris. Es kommt also mehrfach zum Austausch der Fahrgäste, die Züge sind immer gut gefüllt, und das macht sie wirtschaftlich, sodass sie auch von denen genutzt werden können, die wirklich lange Strecken zurücklegen wollen, ohne wie bisher wegen längerer Umsteigezeiten noch viel länger unterwegs zu sein.

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WELT: Da wären Nachtzüge sinnvoll. Die DB will mit anderen europäischen Bahnen bis 2024 vier neue Linien unter anderem zwischen Berlin und Paris einrichten. Warum jetzt, nachdem sich die DB fast völlig aus dem Nachtzug-Verkehr zurückgzog?

Ferlemann: Die Deutsche Bahn konnte diese Nachtzüge in den letzten Jahren nicht mehr wirtschaftlich betreiben, weil ihre Schlafwagen sehr alt waren und sich ein Austausch oder eine Überarbeitung nicht rechnete. Sehr wohl aber rechnet sich der Nachtzug-Verkehr für die österreichische ÖBB, die in ihrem Heimatland ein anderes Steuersystem hat und damit wirtschaftlicher fahren kann, sodass die ÖBB viele dieser Verbindungen in Deutschland übernehmen konnte. Gefahren werden diese Züge übrigens von der DB als Dienstleister. Das ist der richtige Weg: Wer es in Europa am besten kann, der soll es machen. Für mich ist entscheidend, dass die Kunden das bestmögliche Angebot vorfinden.

WELT: Bis 2030 soll der Deutschland-Takt flächendeckend ein Umsteigen zwischen allen Fern- und Regionalzügen innerhalb weniger Minuten ermöglichen. Dafür müssen viele Bahnhöfe ausgebaut und Strecken beschleunigt werden. Ist das innerhalb von neun Jahren zu schaffen?

Leere Züge – Deutsche Bahn erwartet Rekordverlust

Längere Züge soll die Bahn einsetzen und dafür künftig nur die Fensterplätze freigeben. Die Hoffnung dahinter ist, so würden wieder mehr Menschen auch zu Corona-Zeiten die Bahn nutzen. Der Konzern im Staatsbesitz hat offenbar bereits erhebliche finanzielle Sorgen.

Quelle: WELT/Matthias Heinrich

Ferlemann: Es muss tatsächlich viel gebaut werden, aber oft sehr kleinteilig: ein weiterer Bahnsteig, ein Überholgleis, eine andere Signaltechnik. Ich bin felsenfest überzeugt, dass wir das bis 2030 verwirklichen können. Das Geld dafür haben wir bereitgestellt. Hinzu kommt die Fertigstellung großer Projekte wie Stuttgart 21 mit der Schnellfahrstrecke nach Ulm. Damit werden wir den Takt weitgehend fahren können. Einige erforderliche Großprojekte an wichtigen Knotenbahnhöfen oder Schnellfahrstrecken dürften aber wegen des Widerstands von Anwohnern oder auch Regionalpolitikern erst nach 2030 fertig werden. Deshalb wird es an der einen oder anderen Stelle mit dem bestmöglichen Takt noch länger dauern.

WELT: Minister Scheuer hat angeregt, ergebnisoffen über eine neue Bahnreform zu diskutieren. Halten Sie das für sinnvoll?

Ferlemann: Es ist richtig, mehr als 25 Jahre nach der letzten großen Bahnreform zu fragen, was gut gelaufen ist und was nicht. Diese Diskussion ist aber leider Corona zum Opfer gefallen. In der gegenwärtigen Lage darf man nicht einen ganzen Konzern in Unruhe versetzen. Das wird also ein Projekt für die nächste Legislaturperiode.

WELT: Was aber ist gut gelaufen, was nicht?

Scheuers kleine Revolution im Bahnverkehr

Verkehrsminister Andreas Scheuer hat den neuen Masterplan für den Schienenverkehr vorgestellt. Der Takt der Züge auf den Hauptverkehrsadern soll verdichtet werden. Bis 2030 sollen dort alle 30 Minuten Züge fahren.

Quelle: WELT/ Fanny Fee Werther

Ferlemann: Ein Knaller war die Bahnreform im Nahverkehr. Der ist heute viel besser als damals. Was da jedoch an Konkurrenz stattfindet, ist ja fast immer eine Konkurrenz zwischen Staatsbahnen, weil hinter vielen Eisenbahnverkehrsunternehmen im Nahverkehr eine europäische Staatsbahn als Eigentümer steht. Im Fernverkehr haben wir zwar ein deutlich besseres Angebot als früher, aber so gut wie keinen Wettbewerb. Das ist nicht befriedigend.

Und was den Güterverkehr betrifft, so gibt es dort zwar privatwirtschaftlichen Wettbewerb, aber der ganze Sektor hat seinen Anteil an den Gesamttransporten gegenüber der Straße nicht vergrößern können. Da liegt es nahe, sowohl nach den Strukturen des Schienenverkehrs zu fragen als auch nach den verkehrspolitischen Gewichtungen zwischen Straße, Schiene, Flugzeug und Schiff. Über all das muss man ergebnisoffene Diskussionen zwischen Union, SPD, FDP und Grünen führen.

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