Entgegen der Stiko-Empfehlung | Politik beschließt Impf-Angebot für alle ab zwölf Jahren
Zweimal geimpfte ältere Menschen können dritte Impfung bekommen
EINSTIMMIG!
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (41, CDU) und seine Kollegen aus den Bundesländern haben bei der Gesundheitsministerkonferenz am Montag (2. August) einstimmig Impfungen für Kinder und Jugendliche (ab zwölf Jahren) beschlossen – GEGEN den Willen und derzeitigen Rat der Ständigen Impfkommission (Stiko).
Was beschlossen wurde:
„Es werden nunmehr alle Länder Impfungen für Zwölf-bis 17-Jährige auch in Impfzentren oder auch mit anderen niedrigschwelligen Angeboten anbieten. Dabei ist eine entsprechende ärztliche Aufklärung erforderlich, sowie eine ggf. notwendige Zustimmung der Sorgeberechtigten einzuholen. Zudem können die Kinder und Jugendlichen auch durch die niedergelassenen Kinder-, Jugend- und Hausärzte und auch im Rahmen der Impfung von Angehörigen der Beschäftigten durch Betriebsärzte geimpft werden.“
Bundesgesundheitsminister Spahn sagte nach dem Beschluss der Konferenz: „Jeder, der will, kann im Sommer geimpft werden. Wir haben genügend Impfstoff für alle Altersgruppen.“ Auch Zwölf- bis 17-Jährige, die sich nach ärztlicher Aufklärung für eine Impfung entscheiden, könnten sich und andere schützen. Mit der Möglichkeit einer Auffrischimpfung im September sollten zudem besonders gefährdete Gruppen im Herbst und Winter bestmöglich geschützt werden.
„Denn für sie ist das Risiko eines nachlassenden Impfschutzes am größten.“ Der Vorsitzende der Länder-Gesundheitsminister, Klaus Holetschek (CSU) aus Bayern, sagte: „Wir gehen vorbereitet in den Herbst.“
► Allen Kindern und Jugendlichen ab zwölf Jahren (insgesamt 4,5 Millionen) soll eine Impfung angeboten werden.
Bislang hätten erst 20 Prozent von ihnen die erste Spritze erhalten, hatte Minister Spahn am Samstag auf Twitter erklärt. Zugelassen für Minderjährige sind die Impfstoffe von Biontech und Moderna, Impfdosen stehen inzwischen mehr als genug zur Verfügung.
Beschluss trotz Warnungen der Stiko
Stiko-Chef Thomas Mertens hatte zuvor auf NDR Info noch gewarnt, dass es derzeit noch zu wenige Daten zu möglichen gesundheitlichen Folgeschäden für Zwölf- bis 17-Jährige gebe: „Wir sagen, wir können nicht eine generelle Empfehlung aussprechen, solange wir diesbezüglich nicht die notwendige Datensicherheit haben.“
Mertens hatte auch eingeräumt, dass er und seine Kollegen den öffentlichen Druck spüren, möglichst schnell zu einer Entscheidung zu kommen. Dies habe aber keinen Einfluss. „Es kann durchaus sein, dass wir unsere Empfehlung ändern werden, aber sicher nicht, weil Politiker sich geäußert haben.“
Der Stiko-Chef hatte auch gegenüber der „Welt“ betont: „Unsere Aufgabe ist, auf der Grundlage aller verfügbaren Erkenntnisse die beste Impfempfehlung für die Bürger dieses Landes und auch für die Kinder dieses Landes zu geben“. Daran arbeite man derzeit „außerordentlich intensiv“.
Auch Interessant
Kubicki: „Verstoß möglicherweise eine Straftat“
Auch der stellvertretende FDP-Vorsitzende Wolfgang Kubicki (69) hatte die Gesundheitsminister eindringlich gewarnt, sich über die Stiko-Empfehlung hinwegzusetzen.
Kubicki sagte am Sonntagabend im Politik-Talk „Die richtigen Fragen“ bei BILD Live: „Wenn wir eine unabhängige Kommission haben, die das beurteilen soll, dann der Verstoß gegen eine solche Empfehlung möglicherweise eine Straftat. Jeder Arzt, der gegen eine nicht vorhandene Empfehlung der Stiko impft, haftet für die Impfschäden, die möglicherweise daraus resultieren.“
Als Jurist könne er „nur dringend davor warnen, von den Regeln, die wir uns gegeben haben, in dieser Frage abzuweichen“. Kubicki stellte zudem die fachliche Kompetenz der Ministerrunde infrage: Bei der Konferenz der Gesundheitsminister handele es sich um ein politisches Gremium, von deren Mitgliedern „wahrscheinlich keiner wirklich Arzt ist“.
Die Stiko hat bisher keine generelle Impf-Empfehlung für Kinder und Jugendliche ab zwölf Jahren ausgesprochen. Sie empfiehlt Impfungen nur für Zwölf- bis 17-Jährige mit bestimmten Vorerkrankungen wie Adipositas, Diabetes und chronischen Lungenerkrankungen.
Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach (58) hatte Kubicki bei BILD Live nachdrücklich widersprochen. Er gehe davon aus, dass die Minister sich am Montag für die Impfung der Zwölf- bis 17-Jährigen ausspreche werde.
Lauterbach: „Als Wissenschaftler bin ich davon überzeugt, dass die Zurückhaltung der Stiko bei der Impfung von Zwölf- bis 17-Jährigen nicht richtig ist.“ Die Stiko warte hier auf „Langfristdaten, die es nie geben wird“.
Daten aus den USA belegten, dass hier keine unbekannten gravierenden Nebenwirkungen aufträten. Und die Delta-Varinate sei für Kinder sehr viel gefährlicher als eine Impfung. Lauterbach: „Daher bin ich der Meinung, dass die Stiko hier irrt.“
Das sagen Mediziner zu Impfungen bei Kindern
Für viele Mediziner und Fachverbände ist die Datenlage nicht ausreichend, um eine allgemeine Empfehlung auszusprechen.
► Der Virologe Dr. Martin Stürmer (52) ist vorsichtig: „Die Stiko macht sich viele Gedanken, wägt Risiken gewissenhaft ab und achtet sehr auf die Sicherheit. Das ist richtig so, denn noch wissen wir nicht genau, wie sicher das Impfen für Kinder ist. Es besteht die Gefahr, dass der Schaden am Ende größer ist als der Nutzen. Deshalb muss gelten: Sicherheit geht vor.“
► Der Immunologe Prof. Dr. Christian Bogdan ist Stiko-Mitglied und Direktor des Mikrobiologischen Instituts der Uniklinik Erlangen. Gegenüber BILD erklärt er: „Ich kann mich nur wundern, dass jetzt die Impfung für alle Kinder gefordert wird und dabei die Grundvoraussetzungen für eine Impfempfehlung durch die Stiko quasi ignoriert werden.“
In der Altersgruppe seien in klinischen Studien bisher lediglich 1131 Personen unter kontrollierten Bedingungen geimpft worden. Es brauche außerdem eine wesentlich längere Nachverfolgungszeit (Zeit nach der Impfung, um beispielsweise Nebenwirkungen auszumachen) als nur ein paar Wochen, um die Sicherheit eines Impfstoffes feststellen zu können. Die Datenlage sei bisher für eine generelle COVID-19-Impfempfehlung für Kinder noch nicht ausreichend.
Lesen Sie auch
► Auch Kinder- und Jugendarzt Jakob Maske (50) findet: „Die Stiko ist ein unabhängiges Gremium aus informierten Ärzte, die aufgrund von medizinischen Erwägungen Entscheidungen treffen. Und man muss ganz klar sagen: Derzeit geben die Daten es nicht her, flächendeckend alle Kinder ab zwölf Jahren zu impfen.“
Maske weiter: „Die Entscheidung, Kinder mit Vorerkrankungen zu impfen, ist momentan ausreichend und gut. Die Stiko hat angekündigt, dass sie in rund zwei Wochen eine Neubewertung vornehmen will. Diese Zeit sollte man sich auch nehmen, um kein unnötiges Risiko einzugehen.“
Dritte Impfung zur Auffrischung
Außerdem können mit dem Beschluss der Gesundheitsministerkonferenz bereits zweimal geimpfte ältere Menschen eine dritte Impfung zur Auffrischung („Booster“) bekommen.
Im Beschluss zur „94. Gesundheitsministerkonferenz“ heißt es: „Die Länder bieten im Sinne einer gesundheitlichen Vorsorge ab September 2021 mit mobilen Teams in Pflegeeinrichtungen, Einrichtungen der Eingliederungshilfe und weiteren Einrichtungen mit vulnerablen Gruppen eine Auffrischimpfung an.“
Studien zeigten, dass insbesondere Menschen „mit Immunschwäche oder Immunsuppression sowie Pflegebedürftige und Höchstbetagte“ von dieser „Auffrischungsimpfung profitieren“.
Denn: Bei bestimmten Personengruppen könne es „vermehrt zu einer reduzierten oder schnell nachlassenden Immunantwort nach einer vollständigen“ Impfung kommen.
► Geimpft werden soll mit den mRNA-Impfstoffen von Moderna und Biontech. Unabhängig davon, welcher Impfstoff bei den ersten zwei Impfungen verabreicht wurde.
„Wir waren uns alle in dieser Gesundheitsminister-Konferenz einig, dass wir alles tun wollen, um die vulnerablen Gruppen auch weiter zu schützen. Und aus diesem Gedanken einer gesundheitlichen Vorsorge, auch der Prävention, wollen wir diesen Schritt der Auffrischungsimpfungen gehen“, sagte der Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz, Klaus Holetschek (CSU, 56).
https://ift.tt/3lmH3c8
Deutschland
Bagikan Berita Ini
0 Response to "Corona: Politik beschließt Impf-Angebot für alle ab 12 Jahren - BILD"
Post a Comment