Politik ist immer auch Partei- und Machtpolitik. Die Zuspitzung der Corona-Pandemie machte das am Dienstag deutlich. Wenige Stunden nachdem das Bundesverfassungsgericht am Morgen die von der großen Koalition im April beschlossene Bundesnotbremse umfassend als rechtens bewertet hatte, führte das nicht etwa zu einem kollektiven Aufatmen der bundespolitischen Akteure wegen des rechtlich einwandfreien Handelns, sondern zu sehr unterschiedlichen Reaktionen. Die hatten nicht zuletzt damit zu tun, dass der Unions-Teil der großen Koalition schon in der kommenden Woche Abschied von der Macht im Bund nehmen muss, wohingegen die SPD zusammen mit den neuen Partnern Grüne und FDP weiterregieren will.
Am Mittag trafen sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), ihr mutmaßlicher Nachfolger Olaf Scholz (SPD) und die Regierungschefs der Länder zu einem Gespräch, in dem es darum ging, wie den steigenden Infektionszahlen und der sich zuspitzenden Notlage der Krankenhäuser zu begegnen sei. Scholz hatte noch vor kurzem mit der Mehrheit seiner neuen Ampel-Partner im Bundestag dafür gesorgt, dass die epidemische Lage von nationaler Tragweite als Rechtsgrundlage weitgehender Einschränkungen des öffentlichen Lebens nicht verlängert wird. Schon als das so weit war, dürfte ihm klar gewesen sein, dass in den Winter hinein neben dem mit Ampel-Mehrheit geänderten Infektionsschutzgesetz noch umfassende Verschärfungen der Corona-Maßnahmen erforderlich sein würden.
Die Botschaft aus Karlsruhe erhöhte den Handlungsdruck noch. Daher ging Scholz mit weitgehenden Vorschlägen in das Bund-Länder-Treffen. Schnell sickerte nach draußen, dass er Sympathien für eine allgemeine Impfpflicht bekundet habe, die der Bundestag bis Ende Februar kommenden Jahres durchsetzen solle. Das erfuhr die F.A.Z. aus Teilnehmerkreisen. Noch etwas schlug der scheidende Finanzminister vor. Im Handel solle eine 2G-Pflicht eingeführt werden. Jedenfalls sagte er Nachbesserungen am Infektionsschutzgesetz zu.
Freude bei der Union
Wichtig war Scholz aber auch, Teilnehmern der Runde die Funktionsweisen des von ihm geplanten Krisenstabs im Kanzleramt zur besseren Koordinierung von Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie zu erläutern. Auch dessen Chef, der Bundeswehrgeneral Carsten Breuer, wurde vorgestellt. Bei den Ampel-Parteien stieß der neue Stab des wohl bald neuen Kanzlers nicht auf ungeteilte Zustimmung. Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann soll einem Bericht aus Teilnehmerkreisen zufolge in der ihm eigenen Deutlichkeit die Überzeugung geäußert haben, dass man auch ohne ein solches neues Gremium zurechtkomme.
Besonders schwierig war es für die FDP, nach der Entscheidung des Verfassungsgerichts auf Kurs zu bleiben. Die Freien Demokraten hatten sich als Oppositionspartei immer wieder vehement gegen ihrer Meinung nach zu weitgehende Einschränkungen der Freiheit im Kampf gegen die Pandemie gewandt. Nun sind sie praktisch schon Regierungspartei und müssen sich mit SPD und Grünen um strengere Corona-Maßnahmen kümmern.
Der stellvertretende Bundestagspräsident Wolfgang Kubicki (FDP) nannte das Urteil dennoch „enttäuschend“. Der Rheinischen Post sagte er: „Aber das Bundesverfassungsgericht ist Letztentscheider. Das gilt es im Verfassungsstaat zu respektieren.“ Nun sollten die Länder die Möglichkeiten des Infektionsschutzgesetzes nutzen, statt Schwarzer Peter zu spielen. FDP-Innenpolitiker Konstantin Kuhle twitterte etwas spitzfindig, dass der Gesetzgeber im April Ausgangsbeschränkungen habe einführen dürfen, bedeute nicht, dass er das im Dezember tun müsse. Der künftige Bundesjustizminister Marco Buschmann von der FDP zeigte sich ebenfalls unzufrieden mit der Karlsruher Entscheidung. Er habe sich ein anderes Ergebnis gewünscht.
Für die Union war es leicht, sich über die Entscheidung aus Karlsruhe zu freuen. Doch das reichte ihr nicht. Die unionsgeführten Bundesländer setzten kurz vor dem Bund-Länder-Treffen noch rasch einen Fünf-Punkte-Plan als Beschlussvorlage auf. Das kam insofern überraschend, als der zur CDU gehörende Kanzleramtsminister Helge Braun noch am Dienstagmorgen bei RTL und ntv gesagt hatte, für das Treffen seien keine Beschlüsse geplant. Das sei die „Vorbedingung“ der SPD für das Treffen gewesen. Daher wurde auch vereinbart, dass es sich nicht um eine formelle Ministerpräsidentenkonferenz handele, die Beschlüsse fassen kann.
Die Ampel folgt den Unions-Vorschlägen
In dem nur gut eine Seite umfassenden Entwurf, den die unionsgeführten Länder am Dienstag verschickten und der der F.A.Z. vorliegt, werden strikte bundeseinheitliche Maßnahmen zur Eindämmung des öffentlichen Lebens gefordert. So sollen etwa in ganz Deutschland Clubs und Diskotheken geschlossen werden, ungeimpfte Personen sollen sich nur noch mit höchstens fünf Personen aus maximal zwei Hausständen treffen dürfen.
In ihrem Beschlussentwurf „bitten“ die Bundesländer, den Bund zudem, dass das Infektionsschutzgesetz bis zum 10. Dezember so angepasst werde, dass die im Paragrafen 28a, Absatz 1 festgeschriebenen Möglichkeiten zur Einschränkung des öffentlichen Lebens (unter anderem Restaurant- und Hotelschließungen oder eine Einschränkung des Reiseverkehrs) den Ländern auch über den 15. Dezember hinaus zur Verfügung stünden. Das solle gelten, sofern der Bundestag nicht doch die Epidemische Notlage von nationaler Tragweite wieder feststelle, die bislang die Grundlage dieser Eingriffe war.
Schon darüber, ob Scholz den anderen Teilnehmern seine Vorschläge bereits vor dem Treffen oder erst nach dessen Beginn gemacht hatte, gab es unterschiedliche Darstellungen von SPD- und Unionsseite. In einem Punkt immerhin hatte sich früh Einvernehmen gezeigt. Die Unionsländer hatten ihren Forderungskatalog mit der Aufforderung an die Regierung begonnen, die Vorbereitung zur Einführung einer allgemeinen Impfpflicht „zügig einzuleiten“. Dem scheint die Ampel nachkommen zu wollen. Nach dem Ende des Treffens wurde eine Pressemitteilung verschickt, in der eine „zeitnahe“ Vorbereitung der Impfpflicht angekündigt wird.
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